"Ach, was für ein selten gesehenes Gesicht. Wie komme ich denn zu der Ehre?"
Seit Jahren habe ich sie schon nicht mehr gesehen, habe schon gedacht, dass sie endgültig verschollen bleiben würde. Manchmal habe ich sogar in der Zeitungen die Todesanzeigen gelesen, ob ich vielleicht da fündig werde. Doch was mich an Gerüchten um die eine oder andere Ecke herum dann doch wieder erreicht hatte wollte ich eigentlich schon gar nicht mehr hören. Und jetzt steht sie da. Einfach so, als wäre kaum ein Tag vergangen dass ich mich das letzte mal mit ihr unterhalten habe, als wäre es gerade einen Satz später als damals.
"Och, ich wollte mal wieder Klamotten einkaufen bummeln. Man gönnt sich ja sonst nichts, und heut hab ich grad mal Zeit."
Im Grunde war es nur eine Floskel, hatte ich nicht mit einer Antwort gerechnet und eigentlich hat sie mich auch nicht wirklich interessiert. Sie sieht zwar immernoch aus wie damals, als ich mit ihr zusammen war, als wir kaum aus dem Bett heraus gekommen sind und dem Wort Extase eine neue Steigerungsform verpasst hatten, aber irgendwie scheine ich ruhiger geworden zu sein, es lässt mich fast sogar kalt.
Sie redet einfach weiter, erzaehlt mir von ihrem Kind und sogar dessen Vater, der sie natürlich verlassen hat noch bevor er davon wusste, von ihren Eltern die sich ja so darüber gefreut haben und irgendwelchen Problemen mit der Führsorge. Zumindest funktioniert mein "ja, aha..." noch - ob sie wirklich nicht merkt, dass es mich nicht interessiert, oder ob es ihr egal ist?
Ich schlage einfach mal in die gleiche Richtung, erfinde irgendwelche Beziehungsprobleme und Krankheiten, auch wenn ich seit der Grundschule nicht mehr ernsthaft krank gewesen bin. Es scheint aber einen Eindruck auf sie zu machen.
"Dann ist es uns ja ähnlich schlecht ergangen."
Aha, ist es das? Naja, wenn sie meint. Sie muss es ja wissen, immerhin hat sie mich ja verlassen, hat mich auf all den Kosten sitzen lassen und ohne Erklärung in die Wüste geschickt.
"Tja, aber die Zeit heilt ja bekanntlich fast alle Wunden." erwidere ich - welche sie nicht heilt könnte sie als kleinen Seitenhieb verstanden sehen, wenn sie kann.
"Naja...... trinkst du mit mir nen Cappuccino?"
"Klar. gerne."
Mal schaun, was sie noch zu erzählen weiss. Was besseres hab ich heute sowieso nicht mehr vor. Vielleicht kann ich sie ja sogar noch ein bisschen runtermachen - merken würde sie es wohl ohnehin nicht.
Wir gehen in mein altes Stammcafe. Damals haben wir oft hier gesessen, sogar auf dem gleichen Platz den sie jetzt ausgesucht hat. Ob sie irgend etwas spezielles vor hat? Vielleicht will sie mich ja wieder haben.
Sogar der Kellner kennt uns noch, obwohl ich seit damals kaum ein mal im Jahr hier war.
"Eigentlich schade, dass wir nicht mehr zusammen sind."
Jetzt kommt sie zur Sache. Dabei ist der Cappuccino noch nicht einmal da. Und was sie für ein Tempo an den Tag legt. Sie spricht nicht mal lange um den lau warmen Brei herum. Naja, zumindest ist es so nicht unnötig spannend. Allerdings bringt mich das auf eine verschlagene Idee. Bei all dem, was sie mich damals gekostet hat, an Nerven, schweiss, Blut und anderem. Obwohl es so schlecht auch nicht wäre, wieder mit ihr zusammen zu sein - zumindest für eine Zeit lang.
Ich lächele sie an, lasse sie erst einmal weiter erzählen. Dass ich noch eine Freundin habe habe ich ihr ja schon erzählt und ich bin sicher, dass sie es auch gehört und verstanden hat. Vielleicht will sie mich auch nur wieder in irgend etwas hinein ziehen. Aber die Versuchung ist schon gross - das weiss sie auch.
"Zu dumm, dass du gerade eine Freundin hast. Ich wäre nämlich solo."
Deutlicher kann man es ja kaum mehr sagen: 'Nimm mich!', 'Ich warten nur auf dich!', 'Fick mich!!!'.
"Das ist eine Frage der Spezifikation."
Das hat sie verstanden. Sie lächelt auf eine Art irgendwo zwischen erleichtert und hoffend, sicherlich genau so voller Adrenalin wie ich gerade, nur darauf harrend was als nächstes von der anderen Seite für ein Zeichen kommt. Ein falsches Wort, ein falsches Zeichen könnte jetzt wieder alles zerstören.
"Dann bitte nimm mich wieder. Ich will zu dir zurück. Ich war nie wieder so glücklich wie bei dir."
Sie weiss wirklich, was Männer hören wollen. Es trifft mich allerdings auch tatsächlich wie ein Schlag. Eigentlich hatte ich seit Ewigkeiten auf diesen Satz gewartet, hatte jeden Tag gehofft dass das Telefon klingelt und ihre Stimme zu hören wäre. Habe auf irgend welche erlösenden Worte gewartet, aber niemals wurde mein Flehen erhört. Heute ist es irgendwie anders. Heute ist die Luft irgendwie raus, kickt mich ihr Blick nicht mehr so sehr wie damals - wenn auch immerhin noch ein ganzes Stück.
"Es gibt nichts, das ich lieber täte." biete ich ihr mit einem ergebenen Lächeln feil. Ihr scheint wahrhaft ein Stein vom Herzen zu fallen, jedenfalls wird ihr Blick viel gelöster. "Lass es uns heute abend feiern. Ich mache noch klar Schiff mit meiner zukünftigen Ex-Freundin und komme dann sofort zu dir nach. Geh ins Ramada, nimm ein Zimmer und warte da auf mich. Lass es uns dort bei einem schönen Essen feiern."
"Du kannst immernoch so romantisch sein."
Wir halten mittlerweile unsere Finger verschränkt, die Beine fast schon umschlungen. Eine Athmosphäre der puren erotischen Spannung liegt in der Luft dass man sie schneiden könnte und ich denke, dass nicht nur ich das so empfinde.
Wir reden kaum mehr ein Wort, schauen uns nur noch tief in die Augen und es scheint genau wie in unserer ersten Nacht zu sein, in der sich unsere Lippen wie in Zeitlupe aufeinander zu bewegten, doch so weit kommt es heute hier nicht. "Zahlen bitte." unterbreche ich die Stille, ohne allerdings meinen Blick abzuwenden. Erst als der Kellner kommt, wende ich mich tatsächlich von ihr ab und wir lösen auch unsere recht engen Umschlingungen. Ich lade sie natürlich ein, auch wenn sie mich eigentlich gefragt hatte - es gehört sich halt. Was solls auch.
Gemeinsam brechen wir auf, verlassen zusammen das Cafe.
"Ok, dann bis gleich. Ich komme sobald wie möglich."
"Ok, bis später."
Ein Abschiedsküsschen und weg bin ich. Ich gehe in die andere Richtung, auch wenn ich eigentlich in die gleiche gehen müsste wie sie. Aber man könnte mich noch mehr beobachten, wenn wir womöglich Händchen haltend die Strasse entlang schländern, und die Situation ist auch so schon konfus genug. Ausserdem kann ich auf dem kleinen Umweg zum einen meine Spuren ein wenig verwischen und zum anderen auch noch ein wenig Luft schnappen.
Endlich daheim, endlich wieder meine schützenden vier Wände. Endlich in Sicherheit.
Im Grunde ist es keine wirklich Entscheidung. Was erwartet sie denn auch? Dass ich einmal mehr für sie Männchen mache? Springe wenn sie ruft? Gut, es hatte auch seine schönen Seiten, jedoch überwogen leider die schlechten. Und Freiheit ist nunmal nicht ersetzbar.
"Hallo Schatz."
"Hi..."
Ich packe mich aufs Sofa, will den Fernseher anschalten. Sie setzt sich zu mir und schaut mich irgendwie komisch an.
"Willst du mir nicht etwas erzählen?"
"Was denn?"
Eigentlich eine merkwürdige Frage. Wenn ich es nicht besser wüsste könnte ich jetzt eigentlich annehmen, dass sie mir so eine Treuetesterin auf den Hals gehetzt hat.
"Na dass du mich betrogen hast, du Schwein!" ihr Ton wird ein wenig schriller, kreischender, geradezu hysterisch. "Gehst mit deiner Ex in ein Hotelzimmer. Dachtest du ich finde das nicht raus? Ich hab dich testen lassen. Und ich hatte auch noch recht. Du betrügst mich, wie du nur kannst!!...."
Ich schaue sie völlig gelassen an. Tatsächlich bin ich die Ruhe selbst. Ich habe mir ja nicht das geringste vorzuwerfen. Tatsächlich getan habe ich ja nichts. Nur gut, dass es ihre Wohnung ist und nicht meine, das macht es doch wesentlich einfacher, was jetzt kommt.
Langsam lege ich die Fernbedienung wieder auf den Tisch, stehe auf und gehe in Richtung Tür. Bevor ich endgültig gehe drehe ich mich noch einmal zu ihr um. Sie scheint geradezu aufgelöst zu sein, sieht Fakten wo keine sind - aber das ist jetzt auch alles gleichgültig.
"Weisst du", fange ich meinen Monolog an, "es ist nichts passiert. Meine Ex hat mich zu einem Kaffee eingeladen, nicht ich sie. Sie wollte mich wieder habe, nicht ich sie. Ich habe ihr gesagt, sie solle ein Zimmer im teuersten Hotel der Stadt nehmen und warten. Warten auf jemanden, der nicht kommen wird - nicht einmal jetzt. Ich hätte mich heute Abend stundenlang an dieser Rache aufbauen können, es wäre mir förmlich ein innerer Reichsparteitag ihr ein bisschen was heimzahlen zu können. Ich würde mich daran auch noch sehr lange freudig erinnern können. Ich hätte es dir auch nicht erzählt. In vielen Jahren vielleicht, wenn überhaupt.
Aber dass du mir so wenig vertraust, dass du das ganze im Hintergrund organisiert hast, mir so wenig vertraust, nicht einmal den Rest des Abends abzuwarten und dir das Gesamtergebnis anzuschauen, dass du es überhaupt wagst meine Treue in Frage zu stellen macht dich als Mensch an meiner Seite völlig indiskutabel.
Ich will dich nie wieder sehen!", spreche ich in ruhigem, fast stoischem Ton und ziehe die Tür langsam hinter mir ins Schloss.