"Klar mag ich mal probieren, ich bin doch zu jeder Schandtat bereit!", hatte ich noch grossspurig verkündet als sie mir die Reste von ihrem Teller anbot. Ich hätte wissen müssen, dass dies alles ein abgekartertes Spiel war, hätte wissen müssen, dass diese Menschen nicht derart meine Freunde waren, wie sie sich ausgegeben hatten, wie ich sie die ganze Zeit vorher gehalten hatte. Aber was war ich auch immer naiv, wenn es um die Beurteilung von neuen Bekanntschaften ging.
Voller Freude über so viel Zuneigung hatte ich den Löffel voll fast vollständig in den Mund genommen, war mir der Gefahren in keinster Weise bewusst gewesen, die auf mich lauern könnten. Warum sollte aber auch gerade in diesem Tellerrest, der obendrein auch noch so verlockend ausschaute, eine derartige Substnanz versteckt sein? Warum hätte ich etwas böses an einem Ort erwarten sollen, an dem man mich nichteinmal vom Hörensagen hätte kennen müssen? Warum also übermässig vorsichtig sein?
Ich machte eine Kaubewegung, aber weit kam ich nicht. Es schmeckte schon ein bischen merkwürdig, aber ich kannte den normalen Geschmack ohnehin nicht, hatte noch nie Thailändisch gespeist um dies weiter beurteilen zu können. Nichteinmal jetzt fürchtete ich mich vor den Greuel, die auf mich hätten lauern können.
Und dann traf es mich wie ein Schlag - vollkommen unvorbereitet und von hinten. Ich hatte nicht den Hauch einer Chance irgendwie auszuweichen oder auch mich im nachhinein noch zu retten. Dafür war die Wirkung schon nach den ersten Millisekunden zu weit fortgeschritten, dafür steckte ich schon viel zu weit in der Sache drin.
Ich überlegte mir noch schnell ein letztes mal, ob ich meinen Schmerz nicht vielleicht doch mit etwas flüssigem, etwas Wasser oder gar etwas Saft betäuben sollte, aber ich liess es geschehen, versuchte obendrein sogar noch, den Schmerz zu geniessen der mich mit jeder Sekunde, die ins Land strich, die sich auf meiner Zunge, in meinem gesamten Mundraum wie eine Ewigkeit anfühlte in der ein Feuer brannte das nach Löschung lechzte. Aber ich wollte sie einfach nicht gewähren, wollte erfahren wie es sich anfühlt, wie sich anfühlt wenn man daran stirbt, wenn man innerlich verbrennt, wenn es einen förmlich auseinanderreisst, wenn man einfach nicht entkommen kann und auch rein garnichts dagegen unternehmen kann was einen ereilt hat - und es war fürchterlich.
Mir traten die Tränen aus den Augen und mein Blick wurde zusehends schummriger. Die Menschen um mich herum mutierten zu verzerrten Fratzen, die mich auszulachen schienen selbst wenn sie miteinander redeten, wenn sie sich wegdrehten. Ich konnte nichteinmal mehr hören, über was sie sich unterhielten, so sehr nahm mir der Schmerz in meiner Mundhöhle, der sich bis tief in den Rachen hinein ausgebreitet hatte die Sinne. Aber was es auch war, sicherlich kam ich darin vor, machten sie sich über mich lustig, wie leicht es doch war mich zu erwischen, wie dumm ich doch gewesen war so vertrauensselig einen gleich ganzen Löffel voll in den Mund zu nehmen, auch wenn ich nur etwas mehr als die Hälfte davon gegessen hatte. Die Wirkung selbst dieser kleinen Menge liess mich nur erahnen, was bei der vollen Dosis geschehen wäre, wie es mir nach derartigen Mengen gegangen wäre, und mir wurde schon alleine von dem Gedanken daran schlecht.
Eigentlich wurde mir ohnehin schlecht. Es war weniger das Verlangen, meinen Mageninhalt wieder an die Oberfläche zu bringen als mehr der Wunsch, meine Kehle mit etwas weniger schmerzhaften zu befeuchten als mit den Säften dieses Giftes. Selbst kochende Magensäure, direkt auf eine offene Wunde ausgeworfen stellte ich mir weniger Schmerzhaft, weniger peinigend vor als das, was ich in diesen Momenten erfahren musste. Mein gesamter Hals brannte, ja er verglühte förmlich und es war keinerlei Rettung für mich in Sicht.
Ich versuchte es zu ignorieren, versuchte vor meinen Beobachtern einen möglichst normalen Eindruck zu machen, versuchte so zu tun als würde ich geniessen, was ich eben noch so furchtsam gekaut hatte, was mich nun so fürchterlich peinigte. Aber es gelang mir einfach nicht zu verbergen, nicht zu unterdrücken wie das Kondenswasser sich aus meinen Augen drückte und in dicken Tropfen meine Backen herunter lief. Ich versuchte sogar, mich wieder in die Gespräche einzufinden, mitzureden, auch wenn ich eigentlich gar nicht so richtig hören konnte, was geredet wurde, wenn ich auch immer dann, wenn ich etwas sagte das Gefühl hatte, als würde ich mich selbsbt hören, als würde ich zu laut oder zu leise sprechen, als würde ich überhaupt neben mir stehen und zuhören - es funktionierte einfach nicht.
Ein neuer Weg. Ich versuchte es einfach zu ignorieren und weiter zu essen. Vielleicht würde ja der normale Konsum von Biomasse meinen Schmerz etwas betäuben können, würde mich über diese Hürde der Schmerzempfindung katapultieren können, auch wenn es nur eine wage Hoffnung war. Die erste Gabel Reis traf dann auch nicht gerade ins Schwarze meiner Strategie, war doch noch immer viel zu viel Sosse dabei, die allenfalls meine Empfindungen noch intensivierte. Aber schon die nächste und übernächste Ladung wurden dann zu einer richtigen Katastrophe, die mich endgültig den Verstand kostete.
Endlich überwand ich mich etwas zu trinken und so mögliche Restkrümel herunter zu spülen, sollten sie mich noch malträtiert haben. Und offenbar war dies die Methode gewesen, mit der ich mich aus diesem Sumpf der Vergiftungsanfälle retten konnte, war dies der Weg gewesen aus dem Labyrinth der Antidote
Gegengifte
die mich bisher nur verwirren konnten oder gar noch weiter ins Verderben stürzten.
Aber wie schön ists doch, wenn der Schmerz nachlässt.
"Kann ich noch was von den Chilis haben? ..."