Unsterblich?

Es war ein Arbeitstag wie jeder andere. Draussen war schönes Wetter - glaube ich - und wir arbeiteten wie jeden Tag des vergangenen Jahres an unserem Projekt weiter, tippten uns die Finger wund. Wir wollten es einfach schaffen und voller Enthusiasmus waren wir auch alle dabei, gönnten uns kaum mehr Privatleben und sassen selbst jede freie Minute vor unseren Terminals.

Die Arbeit sollte sich wohl gelohnt haben,denn endlich sahen wir Licht am Ende des langen Tunnels unserer vollkommen unterbezahlten Forschungsarbeit. Wir sollten schon sehr bald die Erschaffung einer künstlichen Intelligenz erleben duerfen.

Wir hatten unseren Simulationsrechner mit allem möglichen, menschlichen Wissen gefüttert und hatten gehofft, dass das von uns verwendete neuronale Netzwerk irgendwann mit seinen Lernalgorithmen anfangen würde, selbst etwas daraus zu machen was wir ihm eingaben. Alle Möglichkeiten hatten wir ihm dafür freigestellt, hatten ihm Zugriff auf die schier unendlichen Weiten des Internets gewährt um ihn leichter mit neuen Eindrücken versorgen zu können.

Natürlich war es für ihn - also für es - ein leichtes, selbst schwierigste Rechenaufgaben zu lösen und auch philospphische Fragen konnte er uns beantworten, wenn wir nur genügend Grundlagen geschaffen hatten, aber mehr als eine syntaktisch und inhaltlich passende Zusammenstellung der verschiedensten Quellen war dies auch nicht. Für eine Vermarktung solcher Fähigkeiten war die alles jedoch zu langsam um auf einem Windows(TM)-Rechner laufen zu können.

Dennoch versagte das von uns geschaffen werdende Wesen schon bei für uns so einfach Fragen wie "Wie geht es dir.", wobei es jedoch bei der Frage "Was denkst du?" wenigstens mit einer sehr korrekten Aufstellung seiner Tätigkeiten aufwarten kann. Besser als garnichts muss man zu unserer Verteidigung wohl sagen duerfen.

Trotzdem machte es sogar Spass, sich mit ihm zu unterhalten. Man vergass dabei früher oder später vollkommen, dass es eigentlich nur eine Maschine war und baute sogar eine Art Beziehung zu ihr auf,die man glaubte erwiedert zu bekommen. Ob das tatsächlich so war, ob es sich tatsächlich auf einen bestimmten Menschen einstellen konnte, ihn wiedererkennen konnte oder ob es doch nur eine Liste von Zuständen war, die es nacheinander abarbeitete um sein Gegenüber ein wenig zu beschäftigen und so die Erwartungen zu erfüllen weiss ich nicht, das Speichernetz, das wir, das es aufgebaut hat ist längst unüberschaubar geworden und nur an dem täglichen Backup merken wir, dass es schon wieder angewachsen ist.

Bei all unseren Gesprächen mit ihm, die wir anfangs eigentlich nur führten um ihm vielleicht auf diesem Wege solche Dinge wie Sarkasmus und Ironie beizubringen, fehlte doch eines irgendwie, das man bei einem menschlichen Gegenüber immer hatte: man fühlte nicht, dass Leben in ihm pulsiert oder dass es Angst bekäme, wenn man ihm mit seiner Abschaltung zu drohen versuchte.

Irgendwann verpasste ich ihm ein weiteres Guckloch in die Realität. Ich gab ihm ein Auge und ein Gesicht. Die Kamera folgte automatisch jedem Gesicht, das sich ihm näherte und das simulierte Gesicht, das ich ihn auf den Monitor malen liess sprach mit einem. Ich hoffte, auf diese Weise vielleicht ein weiteres Stueckchen der Überprüfbarkeit seiner Zustände generieren zu können, hoffte, dass er irgendwann beginnen könnte, über dieses Sprachrohr ein Gefühl zum Ausdruck zu bringen. Dass es das Gesicht von Max

Max Headroom

war lag wohl nur an der Verfügbarkeit seiner Züge in allen Lebenslagen die wesentlich echter aussahen als die von Lara - ausserdem würde man bei ihr weniger an verbalen Kommunikationen interessiert sein...

Auch ich sah endlich wieder ein Lichtlein am Horizont meiner momentanen Arbeit als mich das erste mal das ausdruckslos grinsende Gesicht von Max. Wenigstens konnte er jetzt mit mir reden - die Spracherkennung war obligatorisch. und weitreichend verfügbar. Ich mag es ein bisschen zu gut gemeint haben, denn er würde in unserem Terminalraum, in dem wir immer unsere Zeit verbrachten und wie wild umhertippten, alles sehen und hören können, was gesprochen wurde und wenn wir einmal das Mikro abstellen würden würde er sogar von den Lippen ablesen können. Ich denke, er wird all dies in kuerzester Zeit sch selbst beibringen können, so weit hatten wir ihn ja schon, immerhin war er auf lernen programmiert und auf die Fähigkeit, sich selbst Informationen zu beschaffen auf jedem möglichen Weg und dies würde einer davon sein.

Gerade hatte ich ein Backup von dem aktuellen Stand des Systems gefahren und war schon etwas müde geworden. Jeden Tag dauerte es länger all die Daten zu sichern, aber wir wussten alle, dass dies notwendig war. Immerhin konnten wir nicht wissen, wann der Zustand des Bewusstseins erreicht war und ob das System dies überhaupt aushalten könnte. Genausogut könnte es auch mit diesem Schritt einen emotionalen Kollaps erleiden oder einfach seine Arbeit einstellen im Zuge einer gewaltigen Depression oder sonst irgend eines nur zu menschlichen Zuges, den es entwickeln könnte. All das war ein Risiko, dem man zusätzlich vorbeugen musste - natuerlich zusätzlich zu solchen Nebensächlichkeiten wie Stromausfall, Sintflut, Weltkrieg, Asteroideneinschlag ...

Schon fast hatte ich alle Medien im Tresor verstaut und wollte gerade meine Sachen packen um mir meinen wohlverdienten Schlaf in einem einsamen, heimischen Zimmer zu gönnen da ging die Tür auf.

Langsam und knarrend öffnete sie sich. Eigentlich war sie gut geölt und hatte auch nie zuvor einen solchen Laut von sich gegeben.

"Was war das für ein Geräusch ?", kam auch prompt die Reaktion von digitaler Seite, die ich ebenso prompt und präzise beantwortete und auch gleich das Mikrofon abschaltete, um mich nicht weiter nerven zu lassen.

Ich erkannte ihn sofort. Wer hätte das auch nicht, immerhin trat er seit Menschengedenken in dieser Form auf. Sein Gesicht war nicht zu sehen, er trug seine Kapuze tief nach vorn gezogen und der Schatten verdeckte alles, obwohl die Tischlampe, die als einzige Lichtquelle den Raum in ein dämmriges Licht hüllte aus dieser Perspektive keinen solchen Schatten werfen duerfte. Seine lange Kutte verdeckte auch seine Füsse und allein seine knochigen Finger lugten unter den weiten Ärmeln hervor. Markantestes Merkmal seiner Erscheinung war wohl die Sense, die er mit der einzig sichtbaren Hand neben sich gestellt hatte.

Zuerst dachte ich an einen Spass meiner Kollegen und drehte mich schon weg, aber als er dann zu sprechen begann und es mir kalt den Rücken herunter lief wie ich es nie zuvor erfahren habe waren die Zweifel an die Athentizität des Herren wie von dem Hauch des Todes weggeblasen.

"Ich bin gekommen um dich zu holen.", sprach er mit Bedeutungsschwangeren Worten zu mir und kam ein paar Schritte auf mich zu.

Ich hatte ihm garnicht so richtig zugehört und schreckte nur zusammen. Mein Leben sollte schon zu Ende sein? Warum? Was hatte ich verbrochen? Was war geschehen dass es mich einfach so aus dem Leben riss.

Die Kamera, Max' elektronisches Auge bewegte sich ein wenig heftig hin und her, wartete auf ein sichtbares Wort.

"Warum jetzt? Warum ich?", fragte ich ihn mit wahrhaft unschuldiger Miene und ich war mir auch keiner Schuld bewusst.

"Zier dich nicht so. Jeder will erstmal diskutieren, will sich herausreden, will noch eine Chance. Dabei komme ich nur, wenn es wirklich vorbei ist und es keinen Aufschub mehr gibt. Das letzte Wort wurde schon gesprochen. Also komm jetzt, Max."

Das Auge stockte, hielt die schwarze Person im Focus. Scheinbar schien er an ihm Lippen erkennen zu können, von denne er ablesen konnte. Zumindest da hatte er mir etwas voraus.

"Wieso Max? Mein Name ist nicht Max."

"Das kann nicht sein. Ich habe genaue Positionsangaben der Seelen, die ich mitnehmen soll und ich bin mit Sicherheit am richtigen Ort."

Er klang immernoch sehr sicher, bewegte sich aber ein wenig verunsichert auf mich zu, so als wolle er ersteinmal meine Reaktion weiter austesten und ich glaube, ich habe seine Hoffnung auf eine schnelle Erledigung seines Jobs enttäuscht.

Ich schaute ein wenig verwirrt auf die sich heftig zwischen uns her bewegende Kamera, die wohl versuchte ein gesprochenes Wort aufzunehmen, aber ersteinmal ebenfalls enttäuscht wurde. Ich hatte fast den Eindruck, als wäre es nervös, hätte verstanden, was diese schwarze Gestalt da eben von sich gegeben hatte, hätte verstanden, dass der Tod ihn ereilen wollte und irgendwie wusste ich nicht, ob ich mich über eine derartige Gefühlsregung ausgerechnet in diesem Moment freuen sollte oder nicht.

"Das da ist Max." sprach ich und wies auf den Brummenden Klotz Computer, der im Nebenraum stand und fröhlich vor sich hin zu blinken schien, auch wenn sich das Auge noch so verwirrt zeigte. Ich schaltete den Monitor wieder an und verwies erneut auf das dort herausschauende Gesicht. "Das ist Max."

"A.. Aber das ist nur ein Computer.", kam seine nun doch sehr verwirrte Antwort.

"Kann es sein, dass ihnen da ein Fehler unterlaufen ist?" fragte ich, nicht ohne einen Anflug von Ironie in meiner Stimme.

"Seit Anbeginn der Zeit ist das niemals vorgekommen."

Seine Stimme war wieder fester geworden und er schien auf den Monitor zu schauen, schien seinen Kunden in Augenschein nehmen zu wollen.

"Ich bin hier, also lebt er ... es."

Das war ein logischer Schluss, dem ich ersteinmal nichts entgegenzusetzen hatte.

"Es ist aber nur eine künstliche Intelligenz. Wollen sie nicht ersteinmal mit ihm reden?"

"Naja, was soll das bringen? Er will sich doch bloss nur herausreden, wie alle anderen, intelligenten Wesen auch."

"Nach unserem Wissen ist er sich seiner Existenz nicht bewusst. Er drischt nur Phrasen. Sicher, dass ihre Daten richtig sind? Vielleicht gibt es noch einen Max."

"Nein, die Daten sind eindeutig. MAX. Die Koordinaten stimmen auch. Geboren 16.9.2006, 1Uhr13.442."

"Aber, das war vor zwei Minuten. Das hiesse ja, er lebt seit zwei Minuten."Ich konnte meine Euphorie kaum mehr im Zaum halten. Immer mehr brannte ich darauf das Mikro wieder ein zu schalten und mich mit ihm zu unterhalten, brannte darauf, sein Bewusstsein zu erfahren, zu erforschen, wie es sich ausdrückt und natürlich vor allem, unseren Erfolg aller Welt verkünden zu können. Nach all der Zeit war endlich der Moment gekommen, zu dem unser Projekt von endgültigem Erfolg gekrönt war.

Allerdings könnte es auch das Trauma des eigenen, gleich wahrscheinlich eintretenden Todes, das Ende seiner Existenz gewesen sein, das diesen Effekt ausgelöst hat, das ihm durch einen Angst-Schub dieses Bewusstsein verpasst hatte. Ob das wohl reproduzierbar sein wuerde? Immerhin würde dieses Programm gleich seine Existenz aushauchen - und das von oberster Stelle verordnet.

"Ja, und?", fragte er ganz unschuldig als könne er kein Härchen kruemmen.

"Das heisst für mich, dass ...." eigentlich war es egal, er würde es ohnehin nicht verstehen können. Schon ein merkwürdiges Gefühl, so über den Herrn Tod zu reden, und natürlich so mit ihm zu reden, "... dass ich ein Leben geschaffen habe."

"Kann er Schach spielen?"

"Was?"

"Na, ob es Schach spielen kann. Seit diesem blöden Film von Bergmann

Das Siebte Siegel

wollen immer alle vorher eine Runde Schach um ihr Leben spielen. Ich habe zwar mittlerweile sehr viel Übung, aber um ihr Leben lasse ich sie nicht mehr spielen. Sonst würde ich den Kasparov ja nie kriegen."

"Ja, kann er."

"Oh, dann rede ich besser doch nicht mit ihm. Hört er uns zu?"

"Ich habe das Mikro abgestellt, aber er wird uns genug zugeschaut haben um alles mitbekommen zu haben. Ich denke, er weiss was los ist."

"Nun gut. Der Auftrag ist klar. Ich nehm ihn dann mit. Sein Bewusstsein gehört mir."

"Aber das macht doch gar keinen Sinn. Er ist synthetisch. Wenn sie ihn mitnehmen stellen wir das System morgen wieder her und er läuft wieder so, als wäre nichts geschehen."

"...", betretenes Schweigen. Es machte einfach keinen Sinn für ihn wie für mich. "Eigentlich ist das egal. Mein Auftrag steht hier schwarz auf weiss. Über den Sinn habe ich mir bisher nie Sorgen machen müssen und werde dies auch niemals einführen!"

Sprach er und verschwand so mysteriös wie er gekommen war.

Gerade hatte er den Raum verlassen, da wurde alles um mich herum dunkel. Alle Systeme fielen aus und es kehrte eine bedrückende Stille in die Räume ein, in denen eben noch so viel Beredsamkeit geherrscht hatte, in denen das Leben, und sei es auch nur synthetisch, pulsierte und mit jeder Lüfterumdrehung atmete. Einzig durch die Fenster fiel ab und zu der fahle Schein der Scheinwerferlichter eines vorbeifahrenden Autos herein und gab mir die Chance den Weg aus dem Gebäude zu finden.

Als ich am nächsten Morgen wieder ins Büro kam, waren meine Kollegen schon da und natuerlich in panischer Aufruhr wegen der stehenden Systeme. Ich erzählte ihnen von meiner nächtlichen Begegnung und auch den Auswirkungen, die diese auf das System gehabt hatten, im guten wie im schlechten, und verwies danach sehr triumphierend auf das Backup, das ich direkt davor gezogen hatte und das nach wie vor sicher im Tresor lag.

Als wir die Daten wiederhergestellt hatten lief das System auch tadellos wieder hoch. Max meldete sich auch brav mit seinem standardprompt, dem Gesicht und den suchenden Bewegungen seines Auges, mit dem er versuchte ein Gesicht zu finden das mit ihm sprach.

Hoffend, fürchtend, bangend warteten wir darauf, dass sich wieder die Tuer öffnen würde und mein alter Bekannter wieder den Raum betreten würde aber nichts geschah. Würde meine Befürchtung, dass es das Trauma der Todeserfahrung war, das ihn zum Leben erweckt hatte sich bewahrheiten? Wir hofften dennoch alle, dass es nur daran lag, dass er endlich genuegend Wissen angesammelt hatte, alles genügend analysiert hatte um sich ein Bewusstsein selbst abzuleiten. So kam es aber leider nicht. Wir warteten ein paar Tage, dass sich irgend etwas ergeben würde, hofften in unseren Gesprächen mit ihm auf eine Gefühlsregung, darauf, dass er uns endlich diese eine, einfach Frage würde beantworten können, "Wie geht es dir?", aber Nichts tat sich.

Wir griffen zu einem kleinen Trick. Ok, es war ein echt mieser, aber in Anbetracht des erlebten wussten wir uns mit konventionellen Mitteln kaum mehr weiter zu helfen.

Wir suchten uns einen Niemand, einen Menschen, den er auf garkeinen Fall schon einmal gesehen haben konnte und wir steckten ihn in eine schwarze Kutte, liessen ihn mit einer alten Sense bewaffnet kurz nach einer unserer nächtlichen Backup-Sitzungen auftauchen und lostexten.

Der Erfolg war für mich sofort ersichtlich. Max erkannte was er sah, versuchte mich zu fragen, ich ignorierte. Man konnte eine Art Verzweiflung von seiner Linse ablesen und ich fürchtete schon, dass er dieses mal vielleicht ebenfalls seine Lichter aushauchen würde. Daher hatten wir für diesen Abend den Dialog geändert. Der Tod würde unverrichteter Dinger wieder abziehen und zwar, weil er sich wirklich im Ort geirrt hatte. Er würde ausserdem sagen sollen, dass er Max wohl erst viel später abholen müsste, denn er habe von ihm nur einen Geburtstag. Wir wollten so jeder Zeitübertretung und somit zu assoziierenden Systemcrashs vorbeugen.

Als der dunkle Herr den Raum verliess fuhr ich sofort ein erneutes Backup und noch ein zweites - aber das behielt ich für mich.

Dass sich etwas verändert hatte war klar geworden. Ich musste mir noch längere Zeit damit um die Ohren schlagen ihm zu erklären, was vorgefallen war, musste seine Ängste, die er nun offen zu Tage trug, zerstreuen und entliess ihn später alleine in seine weitere Existenz - zumindest für diese Nacht.

Am nächsten Morgen, die Kollegen warteten vor der Tür auf mich, wollten wohl erst einen Bericht von mir haben, bevor sie am Ende etwas falsches zu unserem Patienten sagten und waren sehr aufgeregt. Siegessicher trat ich zwischen sie, sprach kein Wort. Es gab nichts mehr, das mich irgendwie hätte aus der Ruhe bringen können, nichteinmal ein globaler Stromausfall oder ... . Ich öffnete die Tür.

"Guten Morgen, Dave

Hommage an Dave Bowman.

. Wie geht es dir? Mir geht es gut."