Sinn des Überlebens

"Ja, genau, da vorne lang..."

"Mach ich doch...!"

Der Wagen, den sie steuert, ist meiner. Ich habe ihn gerade erst gekauft und sie braucht ihn bloss vom Hof zu kutschieren. Zwar kenne ich ihre fahrerischen Fähigkeiten, aber zum einen ist es mein Wagen und zum anderen ist er zu neu, als dass ich jemand anderem wirklich trauen würde. Ausserdem schneit es seit einer viertelstunde und in so einer Situation weiss man ja nie genau, wie der Strassenbelag so reagiert.

"Nimm die Kurve nicht so eng, es ist bestimmt glatt."

"Ja, ich weiss.", sagt sie noch und da ist der Punkt, an dem ich mir einen Lenkradeinschlag gewünscht hätte, auch schon vorbei. Sie macht natürlich genau das, was ich befürchtet hatte und schlägt wenig später den Lenker voll ein, will die Kurve zum Tor hinaus an dessen äusserem Ende nehmen, sicherlich um einem möglicherweise entgegenkommendem Wagen genug Platz zu lassen. Frauen eben.

"Schatz, er reagiert nicht." teilt sie mir mit leichter Panik in der Stimme genau das mit, was ich bereits befürchtet hatte. Es hatte eben geschneit. Schon im nächsten Moment schiebt sie eine Wand von Schnee vor den Vorderreifen her, was uns gerade so davor bewahrt gegen die Wand hinter dem aufgeklappten Tor zu donnern.

"Ich könnte jetzt sagen, er hats ja gesagt..." fasst mein Kumpel kurz das Leid, das auch er hatte kommen sehen, in Worte zusammen, nicht ohne ein tiefes grummeln ihrerseits nach sich zu ziehen. "Und jetzt?"

Wir waren zu dem Schrottplatz gekommen, weil er in der Zeitung einen Wagen angepriesen hatte, der mir schon immer zugesagt hatte. Es war meine klassische Marke, die Marke meines ersten Autos und die vergisst man eben nicht so einfach. Dabei war es nicht nur die Marke, sondern auch Modell, Baujahr und sogar Farbe stimmten überein. Ich musste ihn einfach haben und ich wäre am Boden zerstört gewesen, wenn Sie ihn einfach so aus Unachtsamkeit gegen diese Wand gesetzt hätte.

Dabei wäre Platz genug gewesen. Wenn sie die Kurve nicht direkt hätte anfahren wollen so hätte sie einfach geradeaus weiter fahren können, hätte auf dem Hof auf der anderen Seite der Verwaltungsbaracke, aus der uns der Platzwart bei diesem Manöver amüsiert zugeschaut hatte, locker flockig drehen können und ohne weitere Kurven geradeaus aus der Toreinfahrt herausfahren können. Sie hätte natürlich auch einfach auf meine warnenden Worte hören können, so oft sagte ich so etwas ja nun auch wieder nicht als dass sie davon von vornherein hätte genervt sein können. Doch da standen wir nun, mit abgesoffenem Motor mitten in der Einfahrt und sie hatte genau das erreicht, was sie durch ihr ausladendes Manöver eigentlich vermeiden wollte, nämlich die vollständige Blockierung der Zufahrt.

Wieder fällt mein Blick trotz allem ein wenig wehmütig auf den riesigen Humvee, der auf dem anderen Platz steht in den wir nun wieder Einblick haben. Das wäre meine zweite Wahl gewesen, wenn er nicht nur so teuer gewesen wäre und so viel Sprit verbrauchen würde.

"Äh, was ist das da?"

"Jetzt nicht, ich überlege..." wiegelte ich ab. Was auch immer sie von mir wollte, ich überlegte wie wir jetzt ohne uns weiter lächerlich zu machen, weiterkommen würden und das war ja wohl wichtiger als eine Frage nach irgend einer irrelevanten Nebensächlichkeit die sich auf den zweiten Blick mit Sicherheit von selbst erklären würde.

"Äh, Schatz?!?"

"Was denn?" schaue ich ernsthaft genervt zu ihr rüber, da sie mir mit ihrem herumgeklopfe auf meinem Bein keine andere Wahl mehr gelassen hatte. "Oh Scheisse! Nicht bewegen!"

Schon im nächsten Augenblick wurden wir von einer Horde merkwürdiger Personen überrant. Mehr war in diesem Moment auch nicht zu erkennen, denn das gute dutzend, welche sich nun am Tor und auch an meinem neuen Wagen zu schaffen machten, verhielten sich nicht nur in ihrem aktuellen Tun unkonventionell, sondern hatten auch zuvor einen eher gekauerten Gang, liessen die Arme wie Affen hängen und liessen aus den Mundwinkeln ihrer bleichen Gesichter eine grünliche Flüssigkeit auf den Boden tropfen.

"Zombies! Mach bloss den Knopf runter!" flüsterte unser Begleiter kurz und wir folgten dem Tipp übereinstimmend mit seiner ersten Diagnose. Sollte er sich geirrt haben, konnten wir ja immer noch darüber lachen, aber deshalb musste man sich ja nicht verhalten, wie in einem schlechten Zombie-Film. Wenn etwas aussieht und sich verhält wie ein Zombie, dann ist zumindest die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich um einen Zombie handelt!

Wir sassen regungslos im Wagen und beobachteten die merkwürdigen Figuren, die sich um uns versammelt hatten. Einige von ihnen waren auch zu der Baracke des Hofbesitzers weitergezogen und machten sich dort über den Kühlschrank vor der Tür her, stopften Eisbecher in sich hinein ohne sie vorher auszupacken - schon aus diesem Grund schien die Diagnose korrekt zu sein.

Sie glotzten durch die Fenster und beobachteten uns, verdrehten Köpfe und Augen und schlugen dann auf die warme Motorhaube und die Scheinwerfen ein, die natürlich noch angeschaltet waren und Batteriestrom verbrauchten - Frauen eben. Jedenfalls sparten wir nun Strom.

"Reiss das Radio auf...!" flüsterte ich ihr zu. Wenn sie schon den Wagen nicht mehr starten konnte, dann könnten wir zumindest hier herauskommen. Womöglich würde es sie auch aggressiver machen, aber für eine Sekunde vielleicht könnte es sie genug ablenken, dass wir aus dem Auto heraus und hinein in die Baracke mit ihren vergitterten Fenstern kommen könnten. So viel zu meinem Plan.

Sie drückte auf den Schalter und drehte den Knopf bis zum Anschlag herum. Die Boxen in den Türen waren jenseits ihrer Belastungsgrenze als sie ihre ersten Signale erhielten und von dem, was da eigentlich herauskommen sollte, war nichts mehr richtig zu verstehen. Aber zumindest funktionierte, was ich damit beabsichtigt hatte.

Die Zombies hielten sich für einen Moment die Ohren zu als wir die Türen aufrissen und sie damit ein paar Meter weit wegstiessen. "Jetzt!" musste eigentlich keiner von uns kommentieren und doch riefen wir es im selben Moment, gefolgt von einem fast panischen Rennen an den Zombies an der Kühltruhe vorbei hinein in die noch immer unverschlossen stehende Tür der Baracke, in der der Chef wie angewurzelt stand und nach draussen starrte als könne er die Welt nicht mehr verstehen - und sicherlich war es auch so.

"Hey, aufwachen!" schrie meine Freundin ihn an und es schien tatsächlich so, als würde er aus einem Dornröschenschlaf erwachen, bewegte sich das erste mal wieder seit ich ihn mit einem Schmunzeln ihre Fahrkünste kommentieren sah.

"Was ist denn bloss hier los? Wer sind diese Leute?"

"Das sind Zombies, Mann. Nie im Kino gewesen?" ging Sie ihn etwas harsch an während wir versuchten, die Tür zu verbarrikadieren. Schnell ein Regal davorgeschoben, ein paar der Autoinnereien daraufgelegt, das sollte fürs erste ausreichen um den Bolzen im Türrahmen bei seiner Arbeit zu unterstützen.

"Los, hängt euch mal ans Telefon!" rief ich in die Runde. Es war klar, was nun zu tun war. Entweder war diese Zombieinvasion ein lokales Ereignis, vor dem wir unsere Freunde und Bekannten warnen mussten wenn sie uns denn glaubten, oder wir mussten erfahren, wie weit diese Sache schon ging, wer davon wusste, was wir überhaupt noch tun konnten, ob wir überhaupt überleben konnten wenn wir hier überlebten.

Die anderen zückten ihre Handys und gingen ihre Telefonbücher durch, versuchten einen nach dem anderen zu erreichen, stiessen aber immer wieder bloss auf ihre Antwortbeantworter. Kein einziger schien noch da zu sein oder aber sein Gerät angeschaltet zu haben - was in der heutigen Zeit so gut wie unmöglich ist. Ich versuchte es hingegen mit guter, alter, verkabelter Hardware und schnappte mir das Telefon auf dem Tisch des Chefs. Kurz wollte er mich noch davon abhalten, sein Telefon ungefragt zu benutzen, hielt aber schon nach dem ersten Laut wieder inne, besann sich auf die Situation in der wir uns allesamt befanden und die durch die randalierenden Kreaturen vor der Tür und den Scheiben seiner kleinen Hütte unterstrichen wurde. Ich hob den Hörer an und war regelrecht begeistert davon, dass ich ein ganz normales Freizeichen vernehmen konnte. Zumindest gab es also noch eine Verbindung nach draussen.

Ich wählte den Notruf und wartete kurz. Nach ewig scheinenden Sekunden, in denen es mehrfach klickte als würde ich nach Gottweisswo weiterverbunden, kam dann eine automatisierte Ansage von Band.

'Das Land befindet sich im Ausnahmenzustand. Staatliche Dienste könen bis auf weiteres nicht mehr in gewohntem Umfang geleistet werden. Wenn sie diese Ansage hören können, so wurde der staatliche Schutz in ihrer Region aufgegeben, bitte begeben sie sich in eine der im Rundfunk erklärten Schutzzonen."

Das war wohl die schlimmste aller möglicher Nachrichten, selbst wenn nun noch die Hoffnung auf das Erreichen einer möglichen Schutzzone bestand. Und wie der Zufall es so wollte, hatten wir natürlich gerade weder Fernsehen noch Radio zur Hand, hatten sogar das letzte Radio den Zombies überlassen, die es nach kurzer Aufwärmphase in unserem Wagen gefunden und zum schweigen gebracht hatten, nun dabei waren das schöne Auto immer weiter zu zerlegen bis es kaum mehr als solches zu erkennen gewesen war. Der Traum meiner Vergangenheit war nun also auch gegangen.

"Entweder sie haben keinen Empfang, oder die Akkus sind leer, meiner ist nämlich auch auf dem letzten Strich." kommentiert meine Freundin ihre Erfolglosigkeit, mein Kumpel nickt nur mit freudlosem Gesicht.

"Es gibt wohl Schutzzonen. Der Notruf hat nur ne Bandansage. Wir brauchen nen Fernseher oder ein Radio." teile ich ihnen das Resultat meines Versuchs mit, auch wenn die enthaltenen Informationen durchaus dürftig waren - zumindest hatte ich welche.

"Der Jeep da draussen hat ein Radio drin, ich hab aber die Antenne noch nicht drangemacht." kommt von dem Mechaniker der abwesende Kommentar mit gleichgültigem, teilnamslosen Gesichtsausdruck. Entweder hatte er die Situation und ihre Auswirkungen noch nicht verstanden, oder aber er hatte sie verstanden und resignierte nun. Trotz allem war dies sicherlich die grösstmögliche Hilfe, die er erbringen konnte. Mit weiter begeisterungslosem Ton fuhr er fort: "Die Limo auf der anderen Seite hat ne Fernbedienung genau wie der Jeep, das gibt bestimmt ein paar Sekunden Ablenkung."

Während er die Schlüssel von seinem Sammelbrett zusammensuchte, griff ich nach seiner angesammelten Kultur, die er hinter den Chefsessel seines Schreibtisches aufgestellt hatte. Die zwei Samuraischwerter hatten jedoch die gleiche Länge, was eigentlich ein Stilbruch gewesen war, nun aber sicherlich mehr half als ein Dolch, mit dem man im ernstfall in klinchartigen Nahkampf hätte gehen müssen, und das wollte ich bei diesen Kreaturen sicherlich nicht mit Absicht tun. Als ich mir das zweite schnappte und über den Rücken hängte, kam dann doch ein kurzer Einspruch. "Wenn man es zieht, muss Blut fliessen, heisst es."

"Ich weiss nicht, ob die überhaupt noch Blut haben."

Der Plan funktionierte auf Anhieb wie gewünscht. Zu erst schreckten wir die Bande mit dem auf Fernbedienung blinkenden Humvee auf um dann durch mehrmaliges, blinkendes piepen der Limosine am anderen Ende des Grundstücks ihre vollständige Aufmerksamkeit zu fordern. "Hier entlang!" sprach der Mann und verschwand in Richtung eines Hinterzimmers, das wir vollkommen ausser Acht gelassen hatten als wir die Türen verbarrikadierten. "Das ist der Hinterausgang, da kommen wir direkt neben dem Jeep raus."

Und tatsächlich. Wir folgten ihm, immer mit einem Auge auf den an der Limo randalierenden Zombies, zu der angekündigten Tür, die nur mit einem kleinen Riegel verschlossen war, hinaus zu dem Humvee, dessen Fenster durch die Fernbedienung schon offen standen.

Während wir jedoch auf ihn zustürmten und einstiegen, ich wieder einmal meiner Freundin das Steuer überliess, blieb der alte Mann stehen.

"Komischer Schnee, gar nicht kalt." Er wischte sich mit einem Finger über den Arm, auf dem sich einige Flocken angesammelt hatten. "Und er schmilzt auch gar nicht."

Unser kollektives "Nein" kommt jedoch zu spät, da hat er sich auch schon den Finger in den Mund gesteckt um den Geschmack des Nicht-Schnees zu probieren. "Hmm, schmeckt nach nichts, allenfalls nach Asche. Hats denn gebrannt?" Noch während er seine nächsten Schritte auf uns zu macht krümmt er sich jedoch vor Schmerzen, hält sich den Bauch, fällt auf die Knie und fängt an zu spucken. Auch wenn es meiner Frau ekelig war und sie sich wegdrehte noch bevor der erste Tropfen seines erbrochenen den Boden berührte, so schaute ich doch sehr interessiert zu, ahnte ich doch bereits, was passieren könnte. So war die Farbe seiner Absonderungen anfangs noch ekelig bröckelig und gelb, veränderte dann aber seine Farbe über ein durchsichtiges weiss als sei es seine normale Spucke hin zu diesem unnatürlichen grün, welches wir schon bei den Zombies an meinem armen, alten Auto hatten sehen müssen. Ich drehte mich wieder zu ihm, griff hinter mich und während er geduckt und mit hängenden Armen auf mich zustürmte, seine grüne Sabberspur brüllend hinter sich her zog, riss ich das Samuraischwert aus seinem Büro aus der Scheide und liess mit einem schwungvollen Hieb seinen Kopf meterweit über die Baracke fliegen.

Der Rest seines Körpers sackte noch zu Boden als der Kopf polternd auf dem Wellblechdach aufkam und so die restlichen Zombies alarmierte - er war einfach zu hoch geflogen.

Ich rannte um den Wagen und schwang mich in die Tür während Sie den Motor startete, ohne länger zu warten einen Gang einlegte und losfuhr. Mein Kumpel rannte noch hinter uns her als wir schon an meinem zerstörten Wagen vorbeifuhren, versuchte auf das seitliche Brett zu springen das dieser Jeep bot, rutschte jedoch aus.

Gerade so mit einer Hand konnte ich ihn noch greifen. "Gib Gas!" brüllte ich in die Nacht hinein als ich sah dass uns die Kreaturen folgten - und aufholten. Sie drückte kräftig auf das Pedal, doch ein Wagen eines solchen Gewichts braucht nun einmal seine Zeit, bis sich da irgend etwas tut. Und tatsächlich reichte es nicht ganz, sie hatten uns erreicht.

Oder besser gesagt, sie hatten ihn erreicht, denn einer von ihnen hatte sich an seine Füsse geklammert, wurde neben dem Wagen hergeschleift. Es schien diesem Wesen kaum etwas auszumachen und auch, als seine Beine unter die Hinterräder kamen und abgerissen wurden, änderte dies nichts daran, dass er sich dan den Beinen unseres Begleiters zu schaffen machte.

"Schüttel es ab! Tritt danach!"

"Versuch ich ja! Arghh..."

Es hatte ihn gebissen. Vielleicht auch bloss gekratzt. Wie auch immer, jedenfalls war es sicherlich nicht gut, das erahnte ich schon durch die Erfahrung mit dem geköpften Tankwart. Als mein Freund dann auch noch anfing, analog zu dem Vorfall in jüngster Vergangenheit die Seitenwand des Wagens vollzukotzen, liess ich in einem resignierenden Zustand der Teilnamslosigkeit einfach nur noch los, schaute ihm nicht einmal mehr interessiert hinterher als er sich auf der Fahrbahn überschlug.

"Wo ist Thomas?"

"Vergiss ihn." antworte ich ihr nur und schnalle mich reflexartig auf meinem Platz an. Mein ausdrucksloses Gesicht wird es wohl gewesen sein, das sie nicht mehr nachfragen liess, was denn vorgefallen war. Vielleicht war es auch bloss ihre eigene Situation, mit der sie erst einmal zurecht kommen musste und nun einfach keine Zeit hatte nachzufragen. Alles war mir recht, bloss nicht reden müssen, bloss über die allernächste Zukunft nachdenken, das wollte ich jetzt. Bloss noch überleben, bis zum Sonnenaufgang.

"Hier ist Nichts!" reisst sie mich aus dem Schlaf. Nicht, dass sie es mit der nötigen Strenge gesagt oder gar herausgebrüllt hätte wie ich es ebenfalls verstanden hätte in unserer Situation, sie hatte es ganz normal vor sich hin gesagt als wäre es nicht einmal an mich gerichtet. Aber ich war definitiv der einzige Mensch, der sich hier mit ihr befand.

Nicht nur der einzige Mensch, was mich dann umso mehr beunruhigte. Natürlich war unsere Situation ohnehin schon - aussichtslos möchte ich nicht so direkt sagen - aussergewöhnlich, doch jetzt geriet ich wirklich in eine innere Panik, die mich krampfhaft nach Lösungen suchen liess. Es war nämlich vollkommen still.

Sonst hörte man selbst in der tiefsten Grossstadt stets die Vögel zwitschern. Irgendwo gab es immer ein paar Spatzen oder Maisen die um die Wette quietschten oder auch bloss ein paar Luftratten, die vor sich hin gurrten. Doch hier war es vollkommen totenstill. Wo hatte sie uns bloss hingefahren?

"Da drüben hätten wir sein sollen." waren ihre nächsten Worte nachdem sie gemerkt hatte dass ich aufgewacht war, dass ich mir die Augen rieb um wieder vollständig zu mir zu kommen und auch zu realisieren, wo wir eigentlich genau angekommen waren. Aber schwer fiel mir dies nicht, denn sie hatte vollkommen recht. Da vorn uns an der nächsten Kreuzung wohnte unser gemeinsamer Bekannter, der seinen Geburtstag feiern wollte. Jedoch die Lichter waren aus, der halbe Strassenzug stockfinster und nicht einmal der Mond traute sich offenbar, sein Licht hierher zu schicken.

Ein Stück weit die Strasse zurück jedoch bemerkte ich im Augenwinkel etwas zucken, einen Lichtreflex, der mich mit Hoffnung erfüllte. Es war jedoch kein Mensch und zum Glück auch keine dieser ausserirdisch anmutenden Kreaturen, sondern es waren tatsächlich bloss Lichtreflexe, die von einem vor sich hinflimmernden Fernseher ausgingen. "Ich muss mir das mal ansehen. Warte hier!" wies ich sie schnell an und machte mich im Grunde recht unvorsichtig auf den Weg zu dem Schaufenster des Elektronikladens, der seine Verlockungen auf breiter Front feilbot und selbst für uns in dieser Lage in der wir uns hier befanden das nötigste in der Auslage hatte.

Die letzten Schritte vor die Mattscheibe fielen mir schon schwer, hatte ich doch bereits die absurde Show erspäht, die sich da auf dem Nachrichtenkanal abspielte. Es war wie in einem schlechten Endzeitfilm, in dem die Menschheit ihr Ragnarok erlebt, bloss dass wir hier mittendrin standen. Immer wieder wurde zwischen aktuellen Bildern verschiedener Grosstädte hin und her geschaltet, wurden Liveübertragungen abgebrochen und neu geschaltet und immer wieder notrufnummern eingeblendet. Ein Land nach dem anderen rief wohl den notstand auf, einige von ihnen hatten gar angefangen, ihren eigenen Grund und Boden mit mehr oder weniger taktischen Waffen zu bearbeiten um dieser Katastrophe Herr zu werden. Nur gut, dass unser Heimatland nicht über derartige Waffensysteme verfügte und auch die militärische tradition nicht so mehr so weit ging, militärische Systeme gegen die eigene Bevölkerung zu richten.

Ich versank ein wenig in Gedanken und hatte gar nicht bemerkt, dass ich gar nicht mehr alleine war. Erst, als sie sich auf den Absätzen herumdrehte und zurück zum Wagen lief, erwachte ich aus meiner Stasis, schreckte förmlich zusammen. Schnell drehte ich mich in alle Richtungen um, erwartete jeden Moment von einer Horde Zombies überrannt zu werden vor der Sie geflüchtet war ohne mich zu warnen. Doch so hinterhältig war sie natürlich nicht.

"Hier. Das hab ich irgendwann in der Ablage entdeckt als du geschlafen hast. Probier mal!"

Es war erstaunlich. Da hielt sie tatsächlich eine programmierbare Fernbedienung in der Hand und überliess mir auch noch die traditionelle Macht über sie.

"Funktioniert nicht." konstatierte ich kurz. "Sekunde."

Jede dieser Dinger hatte einen halbautomatischen Suchlauf, mit dem man die wahrscheinlichste Frequenz und Programmschaltung finden konnte, man musste bloss einige hundert mal auf den Ausschaltknopf drücken, und wenn dieser seine passende Funktion erhielt, der Fernseher also aus ging, dann war eine funktionierende Schaltung gefunden und auch die anderen Funktionen würden einwandfrei arbeiten - vor allem die Lautstärke.

"99 ... 100 ... 101 ... passt! Speichern! Und laut!"

"... hat den Ausnahmezustand ebenfalls erklärt. Die Bevölkerung jedes Landes kann über die Frequenz UKW 100Mhz Notfallinformationen erhalten, die sie zum nächsten Sicherheitsgebiet führen sollte. Wenn sie auf diesem Kanal nichts empfangen, so versuchen sie so weit zu kommen wie sie können oder sich in einer Auffangstation der örtlichen Feuerwehren zu retten. Wissenschaftler arbeiten bereits an einem Gegenmittel sowohl für die Seuche selbst, als auch an einem Impfstoff gegen den infizierenden Schnee und alles, was damit in Berührung gekommen ist. Wir können nur noch einmal darauf hinweisen, dass sie auf keinen Fall irgend etwas, das sie in der freien Umgebung gefunden haben, zu sich nehmen sollten. Trinken sie nur abgepackte Getränke, essen sie nur Konserven, vermeiden sie Leitungswasser und machen sie um himmels Willen einen grossen Bogen um den Schnee ..."

"Na klasse, und was sollen wir jetzt essen? Ich hab Hunger und Durst!" Warf sie kurz ein, war dann aber sofort wieder still als die live-bilder aus den amerikanischen Grosstädten weggeblendet wurden und der männliche Moderator die unter Tränen zusammengebrochene Frau von zuvor ablöste, der jedoch ebenfalls etwas neben sich stand und entsprechendes vor sich hin plapperte.

"Wir können nur noch einmal darauf hinweisen, dass es sich hierbei nicht um einen gut ausgearbeiteten Scherz handelt - leider. Eigentlich würden wir nun mit den Börsennachrichten weiter machen, aber es gibt keine Börse mehr, zu der wir noch kontakt hätten. Ebenso gibt es keine Kurse mehr, zu denen noch gehandelt werden könnte. Es gibt auch keine Börsenkorrespondenten mehr, die uns in dieser Sache unterstützen könnten. Zwar ist google noch erreichbar, aber es wurden seit fast zehn Minuten keine Videos mehr auf youtube hochgeladen. Wenn sie irgendjemanden gekannt haben, dessen Handy in einem Netz funktioniert, das über Satellit läuft, so besorgen sie es sich, es könnte für längere Zeit ihre einzige Tür zur Aussenwelt sein. Ich denke nicht, dass in der nächsten Zeit noch einmal irgend jemand nach der Rechnung fragen wird."

Man hörte ihm wirklich an, wie verzweifelt er war und wie wenig Hoffnung in seiner Stimme lag. Offenbar war also selbst die Möglichkeit der Sicherheitszonen bloss ein Scheinriese der Hoffnung gewesen und die mindestens die beiden im Fernsehen wussten es.

Ich zappte kurz durch die Kanäle. Auf dem einen lief das Standardprogramm, ein Krimi, eine Serie, Werbung, Musikvideos diesmal ohne Telefoneinblendungen. Im Verkaufskanal war die Kamera umgefallen und zeigte nur eine ins Bild ragende, blutige Hand, Günther Jauch präsentierte sich in bester, aufgezeichneter Laune mit einem Studio voller "live-gäste". Zwei weitere hatten bloss ein Testbild geschaltet und auf drei anderen war Bildrauschen, dann wieder der Nachrichtenkanal.

Wir waren beide so vertieft in die Bilder von unserer Katastrophe, dass wir gar nicht gemerkt hatten, dass sich am dunklen Horizont der Strasse eine Horde dieser Kreaturen genähert hatte, die auf breiter Front über die Stadt zu kommen schienen.

"Nicht bewegen!" flüsterte ich ihr zu und griff nach ihrer Hand, hielt sie fest und vergrösserte meine Nasenlöcher, um auch beim schweren Atmen bloss keinen Ton von mir zu geben.

Sie kamen näher. Immer näher. Waren direkt neben uns.

Und dann waren sie vorbei.

Sie waren einfach an uns vorbei gezogen, waren in ihrem Affengleichen Gang mit den fast auf dem Boden hängenden Armen einfach an uns, vor uns, hinter uns ja fast gar über uns hinweg geschlichen ohne irgendwie Notiz von uns zu nehmen, ohne uns gar anzugreifen, ohne irgend einen Laut von sich zu geben und erst recht, ohne uns anzustecken.

Dies schien wohl tatsächlich der Weg zu sein auf dem man überleben könnte, dachte ich noch so bei mir als ich den Kopf drehte und ihnen hinterher schaute. Und irgendwie kam mir der eine von ihnen zumindest von hinten bekannt vor, schien ich seine Kleidung wieder zu erkennen. Ich wusste jetzt, was mit der Geburtstagsfeier passiert war, warum die Lichter alle dunkel waren, wir hier keinen Laut zu hören bekamen.

Kein Wort sagte ich zu ihr und doch merkte sie wohl meine Trauer, flüsterte kurz ein "Lass uns fahren." in meine Richtung. Leider war es trotz allem laut genug, damit sich einer dieser Wesen umdrehte und uns dann doch noch bemerkte. Die Ruhe vor dem Zombiesturm war also vorbei.

Wir rannten um unser Leben zu dem Wagen, dem wir durchaus zutrauten dem Ansturm der Untotenarmee ebenso gut Stand zu halten wie die Teilvergitterte Baracke auf dem Schrottplatz. "Fahr in das Fenster!" wies ich Sie an und sie verstand direkt was ich versuchen wollte, nickte mir nur kurz zu und legte den Rückwärtsgang ein.

Mit wesentlich weniger Wucht als auf den Bürgersteig stiess sie dann in das Fenster, drückte die Scheibe mehr ein als dass sie sie an der Stossstange zersplittern liess. Einen weiteren Vorteil hatte diese Vorgehensweise sogar, konnte ich doch nun aus der Hecktür aussteigen und ich in Ruhe umschauen, einsammeln was ich wollte beziehungsweise brauchte, denn der Wagen war gerade breit genug dass er ein komplettes Teilfenster ausfüllte und somit wieder verschloss. Die Zombies konnten also kommen, dachte ich mir noch während ich einen Fernseher und ein paar kleinere Adapterstücke, Transformatoren und Steckernetzteile einsammelte, auf die Rückbank warf und auch ein paar mobile Fernseher und Radios dazupackte. Das Laptop durfte natürlich auch nicht fehlen und ich hoffte inständig, dass die hinter dem Panzerglas ausgelegten Handys keine Attrappen waren und vor allem, dass unsere Sim-Karten mit diesen funktionieren würde. In dem Chaos dieser Welt auch noch nach Prepaid-Karten suchen zu müssen würde wohl ebenso viel Glück erfordern wie man benötigte um mit einem Auto eine Panzerglasscheibe zu zerdrücken.

"Beeil dich, sie sind gleich da!" rief sie mir mit leicht panischem Unterton zu als ich auch schon die Tür hinter mir zuschlug und den Knopf der Hoffnung herunterdrückte. Die Fahrt konnte weiter gehen.

"Ok, bin drin! Auf nach Panama!"

Der Versuch etwas Witz in unsere Situation zu bringen schlug vollständig fehl. Auch wenn ich über praktisch alles lachen konnte, ich sogar dem Tod oder auch Gott persöhnlich ins Gesicht lachen könnte wenn er mich zu ewigen Höllenqualen verurteilen würde, schaffte ich es doch nicht ihr wenigstens ein kleines Schmunzeln zu entlocken. Aber der Tag war ja noch jung und die Sonne ging gerade erst auf - wenn auch hinter uns.

"Fahr einfach drauflos, ich bastel mal was."

Ich versuchte, aus den Adapterkabeln, die ich erbeutet hatte, etwas zu erschaffen mit dem ich den Taschenfernseher an die Autobatterie, also den Zigarettenanzünder, anschliessen konnte. Informationen waren nun genau das, was wir brauchen würden - neben Sprit und Lebensmitteln natürlich. Das Radio im Auto war ja bloss bedingt zu gebrauchen wie der Mechaniker uns gesagt hatte und so würden wir uns eben mit dem externen Elektronikspielzeug begnügen müssen. Das Radio war das erste, was ich angeschaltet bekam, denn das brachte alle nötigen Anschlüsse schon gleich mit, wollte nicht einmal aufgeladen werden um einen Ton von sich zu geben.

Die Frequenz, die sie im Fernsehen gesagt hatten, war jedoch tot. Eine Hoffnung weniger, auf der wir aufbauen konnten. Der Gedanke, das wir einfach nur in einem Funkloch sitzen würden, dass der Empfang auf der Autbahn, auf der wir uns mittlerweile befanden, zu schlecht war um von einem Weltempfänger aufgefangen zu werden, schwand mit jeder Sekunde die verginge immer weiter ins Bodenlose. Aber auch die Suche nach einem anderen Sender, nach irgend einem Sender, blieb vergebens.

Ich stellte das Gerät erst einmal einfach neben mich und bastelte an den Verbindungskabeln für den Fernseher weiter. Vielleicht würde ja irgendwann doch noch etwas zu hören sein, wenn wir eine andere Zone erreicht hatten. Die Reichweite des zum Glück vollgetankten Wagens reichte ja immerhin, um einmal quer über den Kontinent zu fahren, da musste es doch wenigstens eine einzige, noch existente Zone geben, die über ausreichend Funkkraft verfügte.

Eigentlich hatte ich vor mir einmal anzuschauen, was denn mit dem eingebauten Radio nicht in Ordnung sein sollte, vielleicht hätte man ja zumindest eine CD einlegen können, aber alles was man mit dem Gerät hätte machen können war jenseits unserer beider momentanen Gelüste. Zu deprimierend war es, nicht nur akut einen Freund an diese Monster verloren, sondern auch noch eine ganze, bekannte Party-Gemeinschaft an die andere Seite abgeben müssen. Wenn wir daran dachten, dass es allen anderen Bekannten und sicherlich auch Verwandten, so ergangen war, dann wurde zumindest mir recht wehmütig, ihr sicherlich speiübel.

Wieder nickte ich ein. Wieder wachte ich auf weil ich etwas von Interesse hörte.

"... wird unser Sendegebäude nun auch von ihnen belagert. Die Schutzzone, in der wir uns zufällig befanden, ist irgendwie zusammengebrochen, vielleicht unterwandert worden. Da wir jede menge Militär hier hatten, kann ich mir keinen frontalangriff dieser Dinger vorstellen. Womöglich ist es sogar ein Verbreitungsweg gewesen, von dem wir bisher nichts gewusst haben. Jedenfalls sind sie jetzt hier! Dieses Gebäude ist das letzte, das noch arbeitet und das auch bloss wegen unserer Notstromaggregate im Keller. Wie lange die Kabel aber noch halten kann ich nicht sagen, wir wissen aber, dass in den unteren Stockwerken schon gekämpft wird bis der Hubschrauber zur Evakuierung auf das Dach kommt - vielleicht aber auch nicht." Er macht eine Pause in der man ihn schwer atmen hört. Daraufhin übernimmt seine Partnerin wieder die Moderation. "Nach bisherigen, sogar offiziellen Informationen gibt es auf diesem Kontinent nur noch eine einzige Einrichtung, die Schutz bieten kann, nämlich einen Atombunker in einem Berg in der Schweiz, der eigentlich dazu gedacht war die intellektuellen und biologischen Archive der Menschheit aufzunehmen. Nun, zumindest letzteres wird nun wohl wirklichkeit, denn die Evakuierung wird dorthin erfolgen, so sie denn noch erfolgt. Wir werden jedenfalls versuchen, über ein Relais den Sendebetrieb irgendwie aufrecht zu erhalten, so dass wir den Überlebenden - ihnen - zumindest Informationen zukommen lassen können." Die Resignation, die in ihrer Stimme lag, war regelrecht ansteckend und ich merkte, dass meine Freundin wieder etwas langsamer fuhr. Warum auch nicht, immerhin waren wir auf freiem Feld mit weiter Sicht und ohne irgendwelche sichtbaren Bedrohungen. Er machte wieder weiter, was den Hoffnungsgehalt seiner Nachricht jedoch auch nicht erhöhte. "Amerikanische Medien haben in einem Interview mit offiziellen Wissenschaftlern der Regierung in Erfahrung gebracht, dass diese ... Krankheit ... sogar Tiere befällt, jedoch keine Insekten. Wenn wir diesen Planeten verwüstet haben, werden also wirklich nur noch die Kakerlaken übrig bleiben."

Ich musste kurz auflachen. Selbst in dieser Situation konnte ich meinen Galgenhumor einfach nicht bleiben lassen, immerhin war er eines der letzten Dinge, die mir noch geblieben waren. Ich hatte schon vorher darüber nachgedacht, mal einen sarkastischen Satz einzustreuen, aber irgendwie kein Thema gefunden, welches Sie nicht zutiefst gekränkt hätte - etwa dass jetzt der Staat alleine durch Erbfälle saniert wäre oder dass jetzt der Schwiegerdrache keine Möglichkeit mehr hätte auf Nachwuchs zu drängen. Aber man soll sich ja nicht zu früh freuen, vielleicht sehen wir sie ja sogar nochmal wieder - in der einen oder anderen Form.

"Die Wissenschaftler schätzen, dass die ausschliesslich fleischfressenden Probanden in kurzer Zeit alle 'Vorräte' aufgebraucht haben würden und sich dan entweder gegenseitig als Nahrung ansehen würden, oder aber einfach verhungerten - besser gesagt ihr Körper würde von seinen eigenen Masse Energie gewinnen und sie so von innen heraus aufzehren. Dies könne allerdings eine ganze Weile dauern, nämlich bis zu fünfzig Jahre. So lange müsste dann das Erbe der Menschheit in hermetisch abgeschirmten Bunkern versuchen zu überleben, und danach sei es auch fraglich, ob man noch etwas vorfinden könne, was nicht mit den Überresten der Infektionsträger kontaminiert sei. Dass es danach jedoch selbst im besten Fall besser werden würde glaube ich nicht, immerhin ist sicherlich nur die amerikanische Politikerschicht evakuiert worden, und der Präsident dazu." wieder konnte ich mir ein Lachen nicht verkneifen und mir war so, als könnte ich auf ihrem Gesicht zumindest ein Schmunzeln entziffern. Dass sich der Wissenschaftler jedoch in einem Nebensatz entschuldigte, trieb meine ganz persöhnliche Wut in neue Dimensionen.

"Ich fürchte, damit hast du deine Evakuierung verspielt." scherzte seine Partnerin, zunehmend verbittert in Anbetracht der neuen Informationen.

"Gerade bekomme ich eine neue Meldung herein. Chinesischen Wissenschaftlern ist es offenbar gelungen, ein Mittel gegen diese Seuche zu finden. Wir schalten nun live auf die offizielle Kundgebung. Haben wir einen Dolmetscher da? Ah... Gut..."

Das Bild eines chinesischen Würdenträgers erschien auf dem kleinen Bildschirm und ich war froh, dass wir keine Untertitel zu entziffern brauchten, dafür wäre der Bildschirm wohl zu klein gewesen. Sie hielt nun vollständig an, liess den Motor laufen und schaute mit mir die 'leicht' politische geprägte Kundgebung an.

"Den hervorragenden Volkseigenen Wissenschaftlern der überlegenen Volksrepublik China ist es gelungen in einer kommunistisch herausragenden Anstrengung der kollektiven Zusammenarbeit in allen Teilen des Landes und mit Förderung der Partei, die immer schon, im Gegensatz zu unseren kapitalistischen Freunden, das Wissen, die Forschung und die Lehre mit inneren Moral gesehen hat, gelungen, ein Mittel gegen diese aus dem faschistisch kapitalistischen Westen eingeschleppte Katastropfe zu finden, die in diesem Moment bereits nicht nur an ausgesuchte Würdenträger und verdiente Mitglieder des Volkes und der Partei verteilt wird, sondern jedem einzelnen Überlebenden dieser herausragenden Arbeiternation zu Gute kommt. Das Mittel wirkt gleichzeitig als Impfstoff. Die Partei ordnet somit an, bei Auftauchen eines Flugzeugs am Himmel unverzüglich ins freie zu gehen um durch ein Einatmen von oben den Dampf der Reinigung aufnehmen zu können. Lang leben die Volksrepublik China und ihre Verbündeten."

Ein wenig erinnerte mich diese Vorgehensweise doch an die damaligen Experimente mit Anthraxerregern, die auf die gleiche Weise verteilt und aufgenommen wurden. Das Bild schaltete zurück auf die beiden bekannten Sprecher, die leicht in Panik schienen.

"Wie es scheint, haben die Angreifer dieses Stockwerk gleich erreicht, wir werden weiterhin live weiterberichten so lange wie unsere Batterien halten und wir irgendwie senden können. Mark, die Handkamera, los, jetzt!"

Das Bild blieb kurz still auf den Rednertisch gerichtet während die beiden Moderatoren schon aufgestanden waren und man Türen zuschlagen, Schüsse im Hintergrund hören konnte. Dann wurde das Programm etwas unruhiger, wurde wohl auf eine mobile Kamera umgeschaltet. Man konnte erkennen, wie Menschen ein Treppenhaus hochstürmten, konnte Mündungsfeuer unter ihnen hell aufblitzen und wieder die beiden Frontsprecher wie alle anderen auch davonrennen sehen. Nach einer knappen Minute waren sie auf dem Dach, auf dem der Transporthubschrauber in der Luft stand und darauf wartete, dass die Passagiere an Bord springen.

Die ersten jedoch waren keine gewollten Passagiere, sondern eine der Kreaturen, die sich über die Aussenwand des Hauses nach oben gearbeitet hatte und direkt von der Brüstung aus in die geöffnete Heckklappe des Helikopters gesprungen war. Kurz konnte man noch etwas Mündungsfeuer sehen, eine kleine Explosion im Heck und den Kopf des Piloten, der gegen die Frontscheibe schlug bevor das Fahrzeug dann auf einer der Dachecken aufschlug, nach unten wegkippte. Die Erschütterung war so stark, dass man nicht nur die Druckwellen des Einschlags in einem weiter unten liegenden Stockwerks quasi fühlen konnte, sie waren offenbar auch stark genug um ein weiteres Unheil über die Flüchtlinge auf dem Dach zu bringen.

Genaugenommen konnten sie sich nun aussuchen, auf welche Art sie abtreten wollten, denn während die mutigen aber hoffnungslosen Krieger noch die Tür des Treppenhauses mit schwerem Feuer unter Beschuss nahmen, waren schon weitere Zombies über die Hauswand nach oben gekommen, hatten sich den Kameramann geschnappt dessen Arbeitsgerät nun auf dem Boden lag und weiter filmte, was dort oben geschah. Die Soldaten versuchten noch immer verzweifelt, gegen Feinde aus allen Richtungen anzukämpfen und waren doch bereits verloren, denn was man ebenfalls erkennen konnte war eine Neigung des Horizontes, der immer weiter kippte bevor dann der mutierte Kameramann das Gerät zerbrach, die Übertragung in einem Rauschen abbrach, nicht einmal mehr ein Testbild gezeigt wurde.

Wir schauten uns lange nachdenklich in die Augen. Alles schien verloren, der Weg nach China zu weit um ihn realistischerweise zu schaffen. Ich stieg aus. Sie ebenfalls, stellte sich zu mir vor den warmen Kühlergrill in das Scheinwerferlicht. Wir sagten beide kein Wort, alles schien klar zu sein. Fünfzig Jahre, bis wir diese Dinger los waren. Doch was sollte man bis dahin selbst essen? Und was machte man bis dahin mit all der Zeit? Ein schier endloser Kampf mit unmengen von Gegnern, deren Zahl so gross war wie die Bevölkerung ganz Europas. Das würde ich wohl kaum fünfzig Jahre lang aushalten. Und danach die Verantwortung für den Fortbestand unserer Rasse sorgen zu müssen, und zwar nicht nur biologisch, sondern auch intellektuell. Da konnten wir auch gleich nach China fahren.

China wurde zu einer immer endgültigeren Lösung für unsere Probleme. Nach dem, was wir gesehen hatten, dem, was wir gehört hatten, hatte man dort die Lösung ja bereits umgesetzt, wenn wir dort ankommen würden, würde uns vielleicht sogar freundlichst begrüssen - oder aber aus Ressourcengründen ausstossen, womit zumindest nicht mehr verloren wäre als jetzt.

"Da vorne!" riss sie mich einmal mehr aus meinen Überlegungen, die ja auch ihre Rettung betrafen.

"Hä?"

"Da vorne. Leise, vielleicht bemerken sie uns genausowenig wie in der Stadt..."

Doch diese Hoffnung war vergebens. Am Horizont hatte sich eine ganze Armee Zombies aufgebaut und stürmte auf uns zu. Noch waren sie mindestens eine Minute weit entfernt, doch ihr Tempo war unvermindert schnell.

"Ich mach das." sagte ich siegessicher zu ihr und ging der Masse entgegen. Vielleicht würde ich sie nicht beschützen können, aber ich würde es zumindest versuchen, würde mein Bestes geben, würde eine grosse Zahl Opfer unter meinen Gegnern fordern bevor ich mich freiwillig zuruckziehen würde. "Steig in den Wagen.", da würde sie sicherer sein als im Licht der Scheinwerfer in welchem ich nun stand und auf meinen Feind wartete.

Fast war es zu einer persöhnlichen Sache geworden, mein Kampf gegen die Kreatur da draussen, die alles in Frage stellte, die alles zerstört hatte was mir wichtig, lieb und teuer war, die mir alles genommen hatte was mich an diese Welt, in diese Gegend gebunden hatte. Nun blieb nur noch ein aussichtsloses Leben mit meiner Frau.

Vielleicht sollte ich aber das Leid, das wir erfuhren und auch weiterhin erfahren würden einfach beenden, hier und jetzt.

Ich zog mein Samuraischwert. Das andere auch, hielt es anders herum hinter meinen Rücken. Dies war sicherlich die bestmögliche Bewaffnung, die man sich gegen einen solchen, endlosen Gegner wünschen konnte. Kugeln richteten nicht so viel Schaden aus und waren endlich, Schwerthiebe gingen nicht aus.

Ich atmete langsam und leicht vor mich hin, dachte noch immer über meine ersten Schläge nach und versank einmal mehr in Gedanken. Die Masse kam immer näher auf mich zu, so dass ich schon die gelben Augen der ersten Front erkennen konnte. Ruhig und bewegungslos stand ich da im Scheinwerferlicht und harrte meinem möglichen Ende.

Doch wozu sollte ich überhaupt kämpfen, was sollte es mir bringen jetzt und hier zu überleben? Allenfalls ein paar Wochen, vielleicht Monate oder gar wenige Jahre würden wir überleben können bevor wir an allem darbten, bevor uns gar irgend eine versteckte Quelle dieser Krankheit erwischte und wir dann doch wieder Ewigkeiten - fünfzig Jahre - zum ableben brauchten. Wozu warten? Wozu das unvermeidliche herauszögern. Wozu Gefahr über andere Überlebende bringen, die dann noch länger auf das Ende der Kreatur warten mussten?

Ich hielt meine Schwerter fest umklammert, bewegte mich praktisch nicht, starrte einfach nur geradeaus der Horde entgegen - und wartete auf meinen Tod. Wahrscheinlich würde ich nicht einmal mutieren, würde direkt von ihnen vollständig aufgefressen werden. Besser ein schmerzhafter, aber schneller Tod, als zu einem von ihnen zu werden.

Nur noch wenige dutzend Meter trennten mich von meinem Schicksal, trennten mich vom Ende.

Noch zehn.

Ich schloss die Augen.

Jetzt!

Nichts geschah.

Ich spürte einen Luftzug um mich herum und als ich das Aufheulen der Zombies erst hinter mir zu hören bekam, hinter mir in einiger Entfernung, da blickte ich mich wieder um.

Sie hatten das Auto belagert, hatten es fast vollständig eingeigelt. Ich konnte den panischen Blick meiner Frau gerade noch erkennen während ihr Schrei in dem geheule der Monster unterging. Sie rüttelten an dem Jeep, rissen Verkleidungsteile ab und zerrissen die Motorhaube, rissen Schläuche und Kabel heraus bis das Licht flackerte, der Motor aus ging und - er explodierte.

Der Grund dafür interessierte mich schon nicht mehr als ich mich einfach umdrehte und langsamen, interesselosen Schrittes davonging. In Erinnerung blieb mir von diesem Moment - und vor allem in täglichen Alpträumen wiederkehrend - der Anblick meiner Frau, die in dem Wagen verbrannte.

Heute?

Heute mache ich nichts mehr.

Ich habe mir ein Haus in den Bergen Chinas gebaut und lebe seitdem ich hier angekommen bin in relativer Abgeschiedenheit.

Ich bin zum Lehrer geworden - wenn denn jemand kommt der von mir lernen will. Alle paar Jahre geschieht dies tatsächlich und angeblich habe ich eine gewisse Berühmtheit erlangt seit jener Tage, die mich auch biologisch so offensichtlich verändert haben.

Vor vierhundert Jahren.

Doch wozu?