Herausforderung des Schicksals

Eigentlich war es ein wirklich schöner Sommertag, an dem ich nur geniessen wollte mit meinen Freunden und meiner Freundin in ein Cafe zu gehen und einen Cappucccino zu schlürfen, aber wer kann morgens schon ahnen, wie es später kommen wird? Wer würde überhaupt auch nur für möglich halten, dass so etwas tatsächlich geschehen könnte. Selbst ich hatte dies immer für zu abwegig gehalten, dass ich es wagte darauf all mein Leben aufzubauen, mein Schaffen sinnmässig danach auszurichten. Niemals hätte ich gedacht, dass mir wirklich einmal widerfahren würde, was ich in so vielen Briefen, in so vielen Zeilen gewünscht, was ich in so vielen Worten herbeigesehnt hatte. Aber man sollte wohl doch immer sogar mit dem Unmöglichsten rechnen.

Wir hatten uns mit ein paar Freunden, die wir zufällig in genau diesem Cafe in der Fussgängerzone getroffen hatten an einen Tisch gesetzt und uns festgequatscht, hatten den einen und auch den anderen Cafe oder auch Tee in uns hiningschüttet und versucht, die Hitze des Nachmittags ein wenig zu betäuben, uns von dem sporadischen Wind, der meine Haare ein wenig durcheinanderwirbelte. Eigentlich ging es mir gut, eigentlich war ich glücklich mit dem, was ich in meinen bescheidenen Zielen erreicht hatte. Eigentlich ging es mir endlich wirklich gut.

Alles änderte sich jedoch, als ich Sie erspähte. Ich hätte niemals angenommen, dass Sie wieder in meine Stadt kommen würde, wusste ich doch, dass Sie in weite Ferne gezogen war, dass sich ihr neuer Freundeskreis nicht gerade in ihrer mir hinreichend bekannten Vergangenheit und Umgebung rekrutierte und die Wahrscheinlichkeit für ein Antreffen ihrer Erscheinung hier recht gering war. Aber da lief Sie, und Sie war sogar noch schöner, als ich Sie in Erinnerung hatte. Natürlich lag noch immer diese allgegenwärtige Arroganz, die Ihre Erscheinung ausstrahlte, auch in ihrem Gang und lenkte einmal mehr meine Blicke auf Sie. Es war wie immer. Ich bekam feuchte Hände, einen trockenen Mund, Herzklopfen. Ich konnte mich noch nie ihrer erwehren wenn ich Sie wieder zu Gesicht bekam und so war es auch dieses mal. Allerdings war es auch sonst wie immer gewesen, denn Sie ging wiedereinmal an mir vorbei, hatte mich nicht einmal gesehen.

Wenige Minuten später ging Sie die gleiche Strecke dann wieder zurück, jedoch dieses mal mit einer Freundin, die mir ebenfalls wohlbekannt war, was allerdings auch nichts an meiner Sichtbarkeit änderte.

Ich hatte Sie schon abgeschrieben, hatte nicht damit gerechnet, dass Sie noch einmal vorbei kommen würd, auch wenn ich jede Minute, in der ich nicht in ein Gespräch vertieft war den Moment herbeisehnte, in dem ich Sie wieder erspähen würde. Viele Gedanken machte ich mir wieder einmal über den möglichen Moment, wenn sie mich ansprechen würde, wenn Sie einmal auf mich zu kommen würde und sich mit mir über die Art unserer 'Beziehung' unterhalten wollte, aber natürlich alles nur absolut beschönigend hypothetisch. Umso verwunderter war ich dann auch, als sie plötzlich wie aus dem nicht vor mir stand und mich ansprach und offensichtlich hatte sie mich gesucht.

"Hallo. Schön dich wieder zu sehen."

"Ja, ganz meinerseits. Wie gehts dir? Was treibst du so?

"Oh gut. Ich hab dich gesucht. Ich wollte mit dir reden."

"Ohje. Um was gehts?" Ich rechnete mit dem schlimmsten, vielleicht gar, dass sie sich nur über mich lustig machen wollte.

"Ich hab viel nachgedacht, hab viel gelesen und... Nun... vielleicht ging es mir in letzter Zeit auch nicht so doll."

"Was ist denn schlimmes passiert?"

"Naja, Kerle eben. Hab ich dir schon erzählt."

"Achso, das..."

"Naja ... Ich trau mich gar nicht zu fragen ... Ich ... naja ... ja, ich vermisse dich ... Und je mehr Zeit vergeht, desto mehr..."

"Aha." Ich wusste gar nicht recht, was ich sagen sollte. Ich versuchte den Kühlen berechner zu spielen, versuchte so arrogant zu tun, wie Sie es damals mit mir gemacht hatte als ich Sie angefleht hatte sich das doch noch einmal zu überlegen. Es funktionierte wohl nicht. Ich konnte mir weder das kleine Lächeln, noch den ängstlichen Blick über meine nun herausgeforderte Entscheidung, verbergen. Ich konnte mir schon denken, was noch kommen würde. Oft hatte ich mir schon überlegt, was ich in dieser Situation tatächlich sagen würde, aber nie kam ich zu einem befriedigenden Ergebnis, nie kam ich zu einer realistischen Antwort, die mich in jeder Hinsicht hätte glücklich können. Wahrscheinlich hatte ich es deshalb immer zu den unmöglichen Dingen gelegt, die mir ohnehin niemals widerfahren würden, ich mir also darum wenig Gedanken und erst Recht keine Sorgen zu machen brauchte.

"Willst du mich immer noch heiraten?"

"Ja!" Und als ich diese Worte kalt und direkt in ihr Gesicht sagte wussten absolut alle, wie ich dies gemeint hatte. Jeder am Tisch kannte mich gut genug um zu wissen, dass ich auf solch für andere Menschen nebensächliche Dinge wie Grammatik und Zeit achte, dass ich sehr viel Wert auf den Konjunktiv bei Sätzen legte und dass ich meine Antworten ebenso wie meine Fragen mit sehr viel Hintergründigkeit wählte. Auch sie wusste, dass in ihrer Frage noch immer ein Hauch von nicht-endgültigkeit steckte und deshalb setzte sie unter den staunenden Blicken vor allem meiner Freundin, die noch immer neben mir sass, noch einmal nach.

"Heiratest du mich?"

Ok, das war die Frage, vor der ich immer Angst hatte - da war sie. Mein Gesicht versteinerte und jegliche Emtotion, die bisher in meinen Augen lag wich einer tiefen Melancholie, die bis in die letzten Fasern meines Körpers reichte. Sie wusste genausogut wie ich, dass es mir endgültig das Herz brechen würde, wenn Sie in diesem Moment nur mit mir spielte, wenn Sie mich nun nur veralberte. Dies würde mich mit absoluter Sicherheit erst recht töten.

Wieder hatte ich diesen merkwürdigen Tunnelblick. Ich kannte ihn bereits, hatte ich ihn jedoch bisher nur, wenn ich von einer Frau verlassen wurde die ich tatsächlich liebte. Dieses mal war es anderes herum, dieses mal wollte Sie zu mir zurück kommen und ich wusste nicht mehr weiter. Ich hatte Sie fokussiert, hatte Sie im Zentrum des Tunnels, den ich noch sehen konnte und zoomte Sie förmlich stufenlos zu mir heran. Es war ein merkwürdiger Blick, der die Zeit anzuhalten schien, der alles um mich herum zur Nebensächlichkeit degradierte und mir sogar unmöglich machte mich zu bewegen. Ich weiss nicht, wie viel Zeit ich in dieser Lethargie verbrachte, wie lange ich in dieser Position verharrte, aber es schien mir das einzige zu sein, zu dem ich noch fähig war.

"Hallo?" Fragte Sie mich ein wenig erstaunt über mein Zögern da ich ihr die letzte Frage so zielbewusst zu beantworten wusste. Sie wollte mich wohl aus meiner versteinerung wecken und das funktionierte auch.

Ich stand auf und ging einfach davon, ging erst durch die Stadt, dachte nach, ging zu dem Platz, an dem ich sie im Grunde das erste mal erfahren hatte, an dem ich damals in solch luftiger Höhe ihre Lippen kosten durfte. Es schien mir der rechte Ort zu sein um darüber nachzudenken, was ich mit genau dieser Frau nun anstellen sollte, um darüber nachzudenken, ob ich überhaupt etwas mit ihr anstellen würde.

Da stehe ich nun und überlege, was ich noch tun kann. Es bleibt mir wohl keine andere Möglichkeit. Wenn ich ihr Angebot annehme laufe ich Gefahr unter ihre Räder zu kommen, ganz zu schweigen davon, dass ich glücklich genug damit wäre, einfach nur an ihrer Seite zu existieren, als ein Teil ihres Lebens, und das meine darüber ganz vergesse, ja sogar vergesse selbst zu leben. Ich würde all meine Fähigkeiten vernachlässigen, würde vergessen zu tun was mir gefällt, was ich geniesse, was mein bisheriges Leben ausmacht.

Immer nahm ich meine Energie aus der Tatsache, dass ich für etwas kämpte, dafür dass ich sie wiederhaben wollte, dafür ihr zu beweisen, dass ich jedem ihrer Macker geistig überlegener bin, dass ich die einzige, wahre Wahl sein würde, aber nun war all dies sinnlos geworden. Mein eigentliches Lebensziel hatte sich selbst ad absurdum geführt, hatte sich selbst praktisch beseitigt. Meine einzige Möglichkeit wirklich zu leben, aus meinem Schmerz das Beste zu machen und sogar meine Lebensenergie daraus zu entwickeln, aus diesem Leid zu ziehen hat sich eigenständig erledigt.

Nähme ich ihr Angebot an, so hätte ich nichts, für das ich noch arbeiten, für das ich noch wirklich leben, mich anstrengen könnte. Ich denke, dass die Veränderung weg von einem für sie kreativem Leben hin zu einem für sie existierendem zu gravierend wäre, als dass ich einfach so all meine Schaffenskräfte die Toilette herunterspülen könnte, dass ich all das, worauf ich all die Jahre so stolz gewesen war einfach bleiben lassen könnte. Aber genau das würde ich, denn meine Zielgruppenbegründung wäre verschwunden. Ich würde nur noch existieren können, um mein Glück an ihrer Seite zu geniessen.

Lehnte ich es ab, so ist dies nicht minder katastrophal. Wofür sollte ich denn noch leben? Abemals wäre all mein Schaffen, all die Energie die ich in meine Kreativität gesteckt hatte mit dem Ziel, sie wieder in meinen Armen zu halten, sie irgendwann einmal wieder zu haben, mich wieder an ihre Seite schmiegen zu können, sie wieder küssen und liebkosen zu können, all das wäre Sinnlos gewesen. Ich hätte es ebensogut bleiben lassen können, hätte mein Leben mit sinnvolleren Tätigkeiten verbringen können als denn es dem Kampf zu widmen, den ich mit einem strikten Nein aufgeben würde. Ich hätte mich wirklich zum Kasper meiner Emotionen gemacht, hätte mich endgültig vor denen, die achten was ich geschaffen hatte lächerlich gemacht. Womöglich würde es der eine oder andere sogar verstehen, dass man seinen Traum niemals wirklich erreichen darf, dass ein Traum, und schon erst recht, wenn es ein Lebenstraum ist, immer auch ein Traum bleiben sollte, damit man etwas hat, für das es sich lohnt zu leben, für das es sich lohnt zu kämpfen. Einen Traum eben, der aus einer nackten Existenz ein Leben werden lässt.

Mit bleibt wirklich kein Ausweg mehr. Was immer ich täte, es würde mein Leben, all meinen Sinn den ich je gesucht hatte, beenden. Wie könnte ich mit der Schmach des einen oder mit der Strebenslosigkeit des anderen leben, leben wollen? Es wird keine Möglichkeit geben, mit der ich noch leben könnte, mit der ich nicht nur noch vor mich hin vegetieren würde. Es musste ein Ende haben, hier und jetzt. Immerhin ist der Weg nach unten lang genug, dass ich nicht einmal mehr den Aufschlag spüren werde...