(Der Pfurz des Herrn K - Reproduktion eines frühen Werkes)
Wie jeden Morgen betritt Herr K das Buerogebäude in dem er arbeitet - wie jeden Morgen mit vielen anderen, und wie jeden Morgen betritt er mit diesen Menschen den Aufzug, der ihn zu seinem Arbeitsplatz weiter oben befördern sollte. Aber irgend etwas war dieses mal anders. Vielleicht hätte er heute früh doch etwas anderes essen sollen.
Die Tür des Aufzugs schliesst sich, schiebt sich direkt vor seiner Nase zu und befördert ihn in die Höhe - ihn und eine Menge anderer, die er nicht kannte und die wohl in einem anderen Stockwerk arbeiten mussten, denn die Gesichter waren ihm allzu unbekannt. Aber vielleicht war dies auch besser so.
Ein gewisser Druck machte sich breit, begann sich in seinem Unterleib recht unangenehm bemerkbar zu machen. Immer heftiger wurde das Verlangen, diesem Druck nachzugeben, der schon fast in einem Schmerz ausartete und der nur noch raus wollte. Ihm selbst wurde immer wärmer mit jeder weiteren Sekunde die verstrich. Er blickte nervös auf das kleine, blinkende Lämpchen obehalb der Tür, wartete darauf, dass er endlich da wäre, wo er wieder alleine sein könnte, wo er seinem menschlichen Beduerfniss freie Lauf lassen könnte, aber es wurde immer schlimmt. Immer langsamer schien sich das lämpchen zu bewegen, schien sich gegen ihn verschworen zu haben, schien sogar manchmal anzuhalten nur um ihn noch weiter zu ärgern, ihn irgendwann explodieren zu lassen. Aber er hatte jetzt genug.
Langsam und vorsichtig wollte er sich Luft machen, wollte einen leisen, örtlich unidentifizierbaren Schleicher ablassen und sich dann irgendwann, wenn sich schon einige andere umgeschaut hatten, völlig unschuldig tuend die Nase ruempfend umdrehen, so tun als wär ers nicht gewesen. Aber es kam anders.
Laut und blubbernd entwich ihm dann geradezu Kubikmeterweise die stinkende Luft, die seine Eingeweide aus seinem Frühstück produziert hatten. Laut und vor allem auffällig. Im ersten Moment war es ihm ungeheuer peinlich, aber dann dachte er sich, dass er ja ohnehin nichts mehr ändern konnte und begann zu geniessen.
Ein kleiner Kreis hatte sich sogleich um ihn gebildet als die anderen Insassen das Geräusch gehört hatten, als sie es dann endgültig zugeordnet hatten und schon mit dem schlimmsten zu rechnen begannen - doch es sollte noch viel schlimmer kommen.
Es war nur die Angst, die in den Leuten aufzusteigen begann, die Angst vor dem, was ihre Nasen, ihre Lungen wohl gleich an Abgasen zu spueren bekommen würden, die Angst vor den Auswirkungen des eben gehörten auf ihre Riechorgane, die Auswirkung des Verbrechends des Mannes vor ihnen, den niemand kannte und nun gewiss niemand mehr kennenlernen wollte.
Doch dann begann es irgendwann. Langsam und unaufhaltsam begannen sich die Dämpfe, die eben noch schwer und lautstark ihrem Besitzer, ihrem Produzenten entwichen waren, in dem kleinen Raum zu verteilen, begannen den chemisch physikalischen Gesetzen der gleichverteilung von Gasen im Raum zu gehorchen und um die Menschen herum aufzusteigen. Immer höher und höher bis sie dann tatsächlich die Nasenlöcher der Insassen erreicht hatten.
Auch Herr K merkte nun, wie sehr er die Athmosphäre vergiftet hatte und begann rot zu werden, begann sich ein wenig dafür zu schämen, dass ihm diese peinlichkeit passiert war, vermied es aber krampfhaft sich umzuschauen, seine Nase zu ruempfen oder gar sich dafür zu entschuldigen, hegte er doch noch immer die Hoffnung, dass es nicht er war, der dafür verantwortlich gemacht werden würde.
Die ersten Kollegen fingen schon an zu husten, wollten reflexartig ihre Lungen von den Duensten befreien, wollten retten was zu retten war, aber natürlich ohne Erfolg. Überall hatten sich schon die giftgase verteilt die nun allen das Leben schwer machten.
Hatte eben noch nur ein einziger nach dem Lämpchen über der Tür geschaut so waren es nun ein paar mehr, die aber deshalb nicht weniger gebannt und vor allem hoffend nach oben schauten, darauf hofften, dass der Aufzug endlich ihr Zielstockwerk erreichen würde und sich die rettende Tuer für sie öffnen würde auf dass sie dieser stinkenden Hölle endlich entrinnen könnten. Aber das sollte so schnell nicht geschehen.
Immer schlimmer wurde das, kaum jemand traute sich mehr zu atmen, kaum jemand traute sich mehr, sich zu bewegen, sollte keinen anderen aus versehen anstossen, war es doch allen irgendwie unangenehm mit jemand anderem eingesperrt zu sein der an diesem Desaster schuldig sein könnte.
Vollkommen unbeeindruck von diesem menschlichen Drama bewegte sich der Fahrstuhl mit geradezu stoischem Gleichmut schier anaufhaltsam durch den dunklen Schacht, nahm keine Rücksicht auf die immer ernster werdenden Beduerfnisse seiner Insassen, seien sie auch noch so fundamental.
Er scheint stillzustehen hat man das Gefühl, denn je mehr man versucht, nicht daran zu denken dass man in einer Stinkzelle steht desto mehr wird man von seiner Nase daran erinnert, dass es eben doch so ist, dass es schon fast Kampfgasähnliche Auswirkungen auf die äusseren Organe zu haben scheint, was da in die Umluft diffundiert ist, was es einem ebenfalls unmöglich macht die Zeit zu vergessen. Das nächste Stockwerk scheint noch ewigkeiten entfernt zu sein und jeder der Mitleidenden schaut hoffnungsvoll auf das Lämpchen an der Tür das einem kund tun würde, dass in der nächsten Etage schon ein Zwischentopp - möglicherweise zum Luft holen - statt fände, aber die Technik kennt keine Gnade.
Die Augen beginnen zu tränen und den ersten versagt auch schon die Fähigkeit die Luft anzuhalten und während man von den einen ein schnaubendes Luft holen deutlich höhren kann so ist doch ebensowenig zu überhöhren wie sich die anderen versuchen darauf zu konzentrieren eben noch ein paar Sekunden mehr keine Kampfgase atmen zu müssen. Mit hochroten Köpfen stehen sie schon da, glänzen im Licht der Fahrstuhlbeleuchtung und wunderbar kann man auch die immer grösser werdenden Schweissperlen auf ihren Stirnen erkennen, die sich langsam aber sicher ihren Weg zu den Augen hin bahnen.
Den ersten hat es schon erwischt und kaum dass er sich darüber aufregen möchte, dass ihm Salzwasser in sein Auge gelaufen ist merkt er auch schon, dass er dabei vernachlässigt hat der Zellenluft zu entsagen, was sich sehr schnell in einem immer kollektiver werdenden, allgemeinen Stöhnen manifestiert.
Wieder eine Zahl weiter rückt man dem gemeinsamen Ziel, dem Stockwerk in dem all diese Leidensgenossen, diese Zwangsgemeinschaft ihren Arbeitsplatz haben. Das Schnaufen nun aller Menschen ist nun weder zu überhören noch zu unterdrücken so dick scheint die Luft geworden zu sein, dass man sie im wahrsten Sinne des Wortes schneiden könnte. Immer verzweifelter schauen sie sich an, die Gefangenen des Grauens und wie eine endgueltige Erlösung schiene nun der herbeigesehnte Tod zu sein, der allemal einer weiteren Minute in diesem Raum vorzuziehen sei.
Doch ein Einsehen hat das Schicksal als sich endlich die Tür öffnet und man hustend und prustend, Luft holend und vor Freude keuchend aus dem Fahrstuhl fällt. Freundlich schaut man sich an als hätte man neue Freunde fürs Leben gefunden in den Menschen, mit denen man solchen Schrecken geteilt hat. Kaum beachtet wird dieses kleine Detail, diese kleine Episode des taeglichen Lebens, die sich da hinter ihren Rücken fast abzuspielen beginnt.
Sie haben endlich Feierabend. Endlich ist ihr Arbeitstag vorüber und endlich darf sich ein jeder auf sein Zuhause freuen. Man kennt die Menschen um sich herum nicht, aber man ist sicher, dass man nun mit jedem von ihnen um einen Platz kämpfen würde - um einen Platz im Fahrstuhl. Schnell ist die Kabine voll, nachdem die Ladung der letzten Fahrt ihres Weges gezogen ist.
Herr K dreht um, schaut aus gewohnheit die Menschen an, die das Gebäude verlassen wollen, schaut den Gesichtern in die Augen, die da gleich hinter der Stahltüre verschwinden werden. Die Kabine ist eng gedrängt gefüllt, dass nicht einmal mehr eine weitere Aktentasche hinein passen würde als sich die Türen zu schieben, und fast ist ihm, als könnte er durch den immer duenner werdenden Spalt noch verwunderte Gesichter sehen, die sich beginnen merkwürdig anzuschauen....