Gen-Kids

"Was haben wir da bloss getan? Warum musste es bloss so kommen. Wir hätten niemals so leichtsinnig mit unseren Genen umgehen dürfen. Das haben wir jetzt davon.

Die Kinder stehen vor den Türen dieses Hauses. Sie werden bestimmt nicht lange brauchen, bis sie auch mich überrannt haben. Wir können sie nicht besiegen, wir können sie nicht vernichten. Immerhin sind es unsere Kinder. Sie sind das, was wir geschaffen haben, was unsere Frauen zur Welt gebracht haben. Sie sind das Produkt unserer Eitelkeit, das uns jetzt im Begriff ist zu vernichten.

Wir haben die schönsten und saubersten Städte gebaut, die die Zeit je gesehen hat, haben die Geheimnisse des Universums erforscht und Energiequellen erschlossen, die uns erlaubt haben, unsere Welt nicht weiter zu verschmutzen. Wir haben praktisch alle Krankheiten besiegt und eine Gesellschaft geschaffen, die in unsere Städte passt, ohne die Natur vor den Stadtmauern zu vernichten, eine Gesellschaft, die allerdings so selbstverliebt ihrer eigenen Schönheit und Intelligenz fröhnt, dass sie einiger Probleme gegenüber blind geworden ist. Gott, was waren wir arrogant. Dies wird nun die Strafe dafür sein, dass wir sie ausgestossen haben.

Aber es ging ja nicht anders. Sie wurden alle verrückt, wurden aggressiv. Im Grunde sollte es eine Weiterentwicklung des menschlichen Erbguts sein, das auch zu einem grossen Prozentsatz funktioniert hat. Das Ungeborene wurde mit einem Retrovirus geimpft, der das Kind stärker, intelligenter, schneller, eben besser machen sollte. Wenn es auf die Welt kam, hat es auch nie Probleme gegeben. Die gab es meist erst nach ein paar Jahren - wenn überhaupt. Die kleinen Kinder wurden dann schon untragbar, nicht nur für die Gesellschaft, sondern sogar für ihre eigenen Eltern, gegen die sich ihre unstillbaren Aggressionen nach und nach ebenfalls zu richten begannen. So errichteten wir Lager ausserhalb der Städte, in die wir uns dachten das Problem verbannen zu können.

Immer wieder hörte man von Familien, die ein solchermassen durchgedrehtes Kind zu verstecken versuchten, die dann aber entweder verraten wurden oder selbst dem Problem nicht mehr Herr wurden. Zwar gab es nach wie vor eine Strafe auf die Verwendung dieser genetischen Verbesserung, jedoch schreckte dies die Menschen nicht ab, da Eltern nichs mehr stolz zu machen vermag, als die guten Leistungen ihres Kindes. Und der definitive Weg dies zu erreichen war, ihm schon mit den richtigen Genen die besten Vorraussetzungen zu schaffen, gewissermassen mit in die Wiege zu legen. Natürlich spielte auch die Angst, dass ihr Kind so dumm bleiben könnte wie seine Eltern, und sie dadurch einen Spiegel vorgehalten bekommen könnten eine Rolle, die nicht zu verachten ist. All dies brachte die Menschen immer wieder dazu, das Gesetz zu brechen, Genmonster zu schaffen.

Natürlich gab es auch immer wieder genügend Einschüchterung dadurch, dass schon die Eltern von ihren Skrupelloseren - und sicherlich genmanipulierten - 'Kollegen' ausgestochen wurden und dies ihren Kindern ersparen wollten, die sie so auf die andere Seite des Vorhangs bringen wollten. Im Grunde ein durchaus legitimes Ziel, nur dass der Weg wieder einmal der falsche war. Der Mensch scheint mir einfach zu dumm zu sein, um zu überleben. Er muss sich unbedingt selbst vernichten.

Gab es anfänglich noch genügend Erfolge, die den Menschen genügend Hoffnung auf eine verbesserte Zukunft gab, so häuften sich mit der Zeit die Meldungen über die Gen-Monster, wie sie schnell in der Presse genannt wurden, aber auch dies schreckte die Menschen nicht mehr ab als die Wahrheit dies hätte tun sollen - aber eben nicht genügend. Immer wieder war die Angst der Menschen um die erfolgreiche Zukunft ihrer Kinder grösser als die Risiken, die sie für sich einplanten. Vielleicht hätte man den Menschen sagen sollen, wie viele Gen-Kinder wirklich in die Lager exportiert wurden, denn es waren Unmengen. Es dauerte fast dreissig Jahre, bis dann praktische jede Familie von den Schwarz-Genmanipulatoren versorgt wurden, und die Verbote wieder zurückgezogen wurden um eben diese Schwarzmärkte zu unterbinden, aber da war es auch schon zu spät.

Die Langzeitwirkungen waren praktisch gar nicht erforscht und so war es eigentlich kaum verwunderlich, dass selbst aus denen, die die kritische Phase schon lange hinter sich und selbst schon Kinder bekommen hatten, noch grausame Mutationen wurden. Praktisch ihre gesamte Familie mutierte zu den aggressiven Gen-Monstern, die wir alle so fürchteten, heute erst recht fürchten. Zwar deportierten wir diese genauso wie die Kinder, auch wenn diese weit besser unter Kontrolle zu halten waren, aber schufen wir doch in diesen Lagern nur eine andere, eine neue Klasse von Menschen - wenn man diese überhaupt noch so nennen kann. Es ist wohl ebenfalls das Schicksal des Menschen, sich selbst immer wieder mal zurück zu entwickeln.

Erst jetzt wurde deutlich, wie viele von uns doch tatsächlich manipulierte Babies gewesen waren, wie wenige normale Menschen es noch gab, auch wenn gerade diese zu den intelligentesten, zu den genetisch besten unter den Menschen zählten. Immer mehr wurden aus dieser und auch aus anderen Städten vebannt und die Zahl der 'Normalen' verringerte sich täglich. Nicht, dass wir wirklich etwas gegen sie gehabt hätten, aber sie stellten aufgrund ihrer nicht unter Kontrolle zu haltenden Aggressionsausbrüchen eine zu grosse Bedrohung für Leib und Seele der restlichen Menschen dar. Merkwürdigerweise schien sich dies jedoch nicht zu äussern, wenn sie unter sich waren - unsere Beobachtungen der Deportationslager sprachen da eine eindeutige Sprache.

Und dann kam es, wie es kommen musste. Wir wurden für unsere endlose Vermessenheit, für den Versuch, Gott zu spielen, in unserem eigenen Erbgut herumzupfuschen, bestraft. Und das nicht zu knapp.

'Die Geister, die ich rief, ich werd sie nicht mehr los.' Unsere eigenen Kinder richteten sich gegen uns. Aus irgend einem Grunde, wahrscheinlich war es ein einziger Wortführer, der auf sie einredete, ihnen böse Gedanken in den Kopf setzte, wiegelte sie gegen uns auf, richtete ihren Hass, all ihre Aggressionen geballt gegen uns. Und das nicht zu knapp.

Die restlichen Sicherheitskräfte, unsere Sicherheitsvorrichtungen und Absicherungen, unsere Schutzwälle, die eigentlich dazu gedacht waren die Natur vor uns zu schützen, taten ihr möglichstes, um den Ansturm derer, die uns einst als ihre Eltern geliebt haben, abzuwehren. Natürlich konnten wir, durften wir nicht einfach zurückschlagen, denn immerhin war es ja unser eigen Fleisch und Blut, das wir da bekämpft hätten, und wir können uns doch nicht gegenseitig töten, aber wir hätten es wirklich tun sollen - nur um zu überleben, um zu garantieren, dass die Menscheit nicht schon wieder in die Steinzeit versetzt wird. Wir hätten wahrhaft garantieren müssen, dass wir uns weiter entwickeln können, dass wir diese Hürde der Selbstzweifel durch mögliche Selbstverbesserung unserer Basis wie eine zivilisierte Gesellschaft nehmen können, dass wir sie vor allem überstehen als wären wir erwachsen. Der Mensch scheint wirklich dazu geschaffen, sich selbst zu vernichten.

Jetzt stehen sie schon vor meiner Tür und ich habe gerade noch etwas Zeit um niederzuschreiben, was geschehen ist, auf dass vielleicht eine spätere Generation von hoffentlich klügeren Menschen davon zu lernen vermag. Sie haben sie einfach überrannt, unsere Wachmannschaften, unsere hochtechnisierten Sicherheitsvorkehrungen, sogar unsere extra für diesen Zweck installierten Selbstschussanlagen haben nicht genug geleistet, um Unmengen von ihnen abzuwehren und als dann erst einmal die ersten durchgebrochen waren war es natürlich zu spät.

Durch jedes Haus scheinen sie gekommen zu sein, über jeden, verbliebenen, normalen Menschen scheinen sie gekommen zu sein, scheinen sie tatsächlich alle ausgelöscht zu haben als wären sie nur Hindernisse auf ihrem Weg der Zerstörung ihrer Eltern gewesen. Jetzt ist nur noch ein wenig ihres Gekreisches zu hören, und natürlich die Explosionen unserer technischer Spielereien. Vor meiner Tür stehen sie nun und schlagen dagegen, versuchen sie aufzubrechen, versuchen auch mich zu erledigen als das letzte Symbol der geistigen Entwicklung unserer Rasse. Gleich werden sie durchgebrochen sein und werden auch mich töten, genau wie all die anderen, werden ebensowenig Gnade kennen wie mit ihren eigenen Eltern, die sie abgeschlachtet haben.

Gott, was waren wir vermessen zu glauben, dass wir alles unter Kontrolle behalten könnten, was waren wir vermessen anzunehmen, dass wir uns die Erde untertan machen könnten, dass wir die Natur unseren Zwecken unterwerfen könnten. Jetzt rächt sich, was nicht benutzt werden will, was seine Freiheit braucht. Wir haben wirklich nichts aus unserer Geschichte gelernt."