Frau im Schatten

"Schatz, ich glaube ich habe die Lösung für all unsere Finanzprobleme...!" sagte sie mir ins Gesicht. Es war gerade einmal halb acht Uhr morgens und ich schaue mit verschlafenen Augen über meine Zeitung, die mich mal wieder nicht so recht von unserer traurigen Realität abzulenken vermochte.

"Achja? Und die wäre?" fragte ich ihr mit müder, ungläubiger Stimme zurück und liess dabei fast das Morgenblatt und mein Nutellabrötchen sinken. Wir hatten schon vieles probiert, waren sogar schon beim Glücksspiel angelangt, aber auch da hat uns das Glück im Stich gelassen. Unsere Liebe jedoch hat all dies nur noch mehr gefestigt, wohl auch, weil wir beide in gleichem Mass an unserer Misere Schuld sind. Wir hatten schon so viel versucht, dass ich schon nicht mehr an einen neuen Weg glaubte, dass ich schon gar nicht mehr glaubte, überhaupt aus dieser Schuldenspirale herauskommen zu können.

"Ich sterbe!" warf sie mir entgegen und es hörte sich tatsächlich so an, als stünde ein logischer Plan dahinter denn noch bevor ich weiter nachfragen konnte, was dieser Blödsinn denn sollte kam auch schon die Erklärung "Ich sterbe und die Versicherung löst unser Problem mit meiner Lebensversicherung. Dann werde ich auferstehen und dich weiter lieben!"

"Auferstehen. Natürlich."

"Ja. Ich habe da von einem Nervengift gelesen, das die Voodoo-Priester benutzen um ihre Opfer für ihre Anhänger zu töten und nachher wieder lebendig werden zu lassen um damit ihre Macht zu demonstrieren. Genau so werden wir es machen. Ich werde mich vergiften, du wirst mich begraben und am nächsten Tag wieder ausgraben und aufwecken wie mein Voodoo-Gott. Ein praktisch unfehlbarer Plan."

Es hörte sich tatsächlich wie ein recht brauchbarer Plan an wie sie mir auch nicht müde wurde zu erklären, so oft ich ihr auch sagte wie sehr ich sie liebte und wie wenig ich es verkraften würde wenn das nicht funktionierte und sie dann für den Rest meines Lebens auf mich warten müsste, was in diesem Fall nicht sehr lange dauern würde. Viel zu viele Gedanken machte ich mir darum was mit ihr passieren würde Wenn mir etwas zustiesse und sie nicht in der vorgegebenen Zeit aus ihrem Sarg befreien könnte. Viel zu viele Gedanken machte ich mir um sie, denn immerhin würde sie tatsächlich tot sein.

Ich war für Tage unbrauchbar und hatte so gar nicht richtig mitbekommen, dass sie schon drauf und dran war, alles übrige zu erledigen, was zu ihrem Plan dazugehörte.

Dann geschah es. Einfach so ohne Vorankündigung, ohne Warnung und vor allem ohne Erklärung was denn von mir zu tun wäre. Ich wachte auf und lag neben einer Leiche.

Ich konnte es gar nicht fassen und fiel im ersten Moment vollkommen aus allen Wolken, war fix und fertig mit den Nerven, denn immerhin hatte ich eben meine Frau verloren, die Frau die ich liebte. Wie in Panik lief ich im Zimmer auf und ab, warf immer wieder einen Blick auf ihren leblosen Körper der da im Bett vor mir lag.

Dann endlich fiel mein Blick auf den Nachttisch, auf dem nicht nur ein Stachel und ein medizinisches Fläschchen stand, sondern auch ein Brief für mich lag. "Für meinen geliebten Mann. Es tut mir leid, dass ich dich so überraschen muss, aber ich sehe darin den einzigen Ausweg wieder ein normales, glückliches Leben führen zu können ohne die ständige Angst, dass der Himmel über uns zusammen bricht. Das Mittel sollte mich so lange leblos machen, bis du mir das Gegenmittel spritzt. Ich habe es dir mit einer neuen Spritze in deine Jackentasche gesteckt. Sei bitte nicht böse. Ich liebe dich. ....." war die erschöpfende Erklärung.

Das beruhigte mich ein wenig. Zwar war ich trotzdem sauer, dass sie das überhaupt so hartnäckig in Erwägung gezogen hatte dass sie es auch alleine durchführt, aber andererseits liebte ich sie dafür nur umso mehr. Schnell schaute ich noch nach, ob in meiner Jackentasche auch tatsächlich das Gegenmittel lag bevor ich dann doch den Leichenbestatter anrief der alles übrige erledigte. Ein Arzt kam vorbei und schaute nach dem rechten, bestätigte den Tod, legte sogar die Todeszeit auf irgendwann nachts fest, schätzte die Todesart auf Herzinfakt und dann war auch schon alles wieder vorbei.

Zwei Tage später kam noch ein Schreiben von irgend einer Behörde, dass ich sie jetzt begraben dürfte, was ich allerdings schon eingerichtet und für den nächsten Tag anberaumt hatte. Wer konnte auch wissen, dass ich dafür noch eine Erlaubnis brauchte.

Die Bestattung war in kleinstem Kreis. Es war gerade einmal ein Mensch da, nämlich ich. Der Rest war bezahlt, nämlich die Herren Totengräber, der Pfarrer, ein paar Messdiener und der Hausmeister. Mehr wollte ich auch gar nicht, das als Zeugen ihr Begräbniss und damit eigentlich auch ihren definitiven Tod bestätigen können. Es würde ohnehin schon schwer genug sein, für sie eine neue Identität zu besorgen, damit sie wieder irgend einem offiziellen Beruf nachgehen oder sich überhaupt wieder vor die Tür trauen könnte. Ich konnte mir trotz aller Heuchelei oder vielleicht auch gerade deshalb eine Träne nicht verkneifen. Vielleicht habe ich mich auch zu sehr da hinein gesteigert bis ich diesen vorgeschobenen Schmerz vollkommen verinnerlicht habe.

Wie laut muss mein Seufzen sein, dass ich ausstosse als mir der grosse Stein vom Herzen fällt als sie in ihr Grab herunter gelassen wird. Ein Seufzer der Beruhigung, dass nun nichts mehr passieren würde, das uns tatsächlich noch auseinander bringen würde. Nun war alles getan, was getan werden musste und ich werde sie nur noch ausgraben müssen, werde am besten gleich heute Nacht losziehen und einen Spaten mitnehmen. Auch wenn es viel Arbeit werden wird - immerhin liegt sie über eineinhalb Meter tief unter der Erde - wird sich der Anblick meiner wiedererwachten Liebe mehr als lohnen, ganz zu schweigen von ihrem Bericht der Zwischenzeit. Was muss sie erlebt haben, was muss sie gefühlt, gesehen haben jetzt in der Zeit in der sie tot ist.

Aber Hauptsache ich habe meine Frau wieder.

Gesagt, getan und ehe ich es mich versehe ist es Nacht. Ich greife zu meiner Schaufel und ziehe los. Die Fahrt zu ihrem Liegeplatz ist voller Vorfreude, voller aufgestauter Liebe die ich ihr nur so entgegenwerfen werde wenn ich sie gleich im Arm halten werde. Aber erstmal ran an den Stecken und graben was das Zeug hält.

Immer tiefer jage ich das Eisen in die lockere Erde, die die Friedhofarbeiter nur hineingeworfen haben, aber noch nicht festgestampft, wie es wohl üblich ist. Jedenfalls bin ich zu meiner Freude sehr schnell in ihre Tiefen vorgedrungen. Ich stelle mich noch einmal auf, schaue mir die Sterne an die über mir funkeln und sich schon ebensosehr wie ich auf diesen Moment zu freuen scheinen. Sie leuchten mir den Weg zu meiner Liebe.

Ich öffne den in das fahlblaue Licht des nächtlichen Firmamentes gehüllten Sargdeckel und blicke sie an. Sie sieht noch immer so lebendig aus wie vor der Beerdigung, als ich sie beim Schliessen des Deckels noch ein letztes Mal sehen durfte. Aber das wird gleich vorbei sein, gleich werde ich ihr das Gegenmittel spritzen und sie in meinen Armen erwachen fühlen, werde endlich wieder meine lebendige Frau in Armen halten können.

Direkt in ihr Herz soll ich es spritzen und es fällt mir nicht schwer diese Stelle an ihrem Brustkorb zu finden, in die ich die Kanüle aufziehen soll. Langsam läuft der Saft ihres neuen Lebens in sie hinein und ich erwarte ihren ersten, neuen Herzschlag mit jeder Sekunde, die vergeht.

Aber nichts passiert. Irgend etwas musste schief gelaufen sein.

Ich nehme sie aus dem Sarg, halte sie fest, drücke sie, reibe an ihr herum und versuche sie ein bischen zu erwärmen, versuche sie 'per Hand' ins Leben zurück zu rufen, aber es geschieht nichts, ausser, dass sich ein Schatten über uns zu legen scheint.

Ich vermute schon einen Zorn Gottes, der mir nun auch das Licht der Sterne nehmen will und seine Wolken vor diese schiebt, aber als ich empor schaue, blicke ich nur in das Gesicht eines bekannten Menschen, den ich in den letzten Tagen häufiger zu Gesicht bekommen hatte.

"Es wird ihnen nicht viel nützen. Sie ist wirklich tot. Die Blutuntersuchung kam zu spät zurück, da hatte ich sie schon zur Obduktion ausgeweidet. Ich hoffe sie war gut versichert...."

"NNeeeeiiiiinnnnnn !!!!!!! Aaaaaaahhhh....."