Auf der Suche nach einer Erklärung

Eigentlich ist es schon lange genug her, dass ich wieder einen klaren Gedanken fassen könnte, aber irgendwie hat es bisher nicht sollen sein. Noch immer geht mir all das durch den Kopf, das mir auch in dem Moment ein ging als sie mir sagte, dass alles vorbei sein sollte. Noch immer brennt in mir der Schmerz meines verlassenen Herzens, der Schmerz eines verlorenen Lebens, das mir letztlich geblieben ist. Zu viel habe ich wohl auf sie gesetzt, hatte mir eingebildet, dass sie es sein würde, mit der ich mein Leben beschliessen würde, hatte mir erhofft, dass sie mit mir bald schon eine Familie gründen würde, wollte nicht wahr haben, dass es tatsächlich Probleme zwischen uns gab, die ich einfach nicht sehen wollte, die ich totschweigen wollte und die ich durch mein Harmoniebedürfniss einfach verdrängen wollte.

Und jetzt bin ich allein.

Mein Lebensinhalt schien gegangen zu sein. Kaum weiss ich mehr, wie ich meine Zeit, meine Stunden verbringen soll, sehe ich doch keinerlei Sinn mehr in irgendeiner Tätigkeit, wäre alles was ich schaffen könnte ohne Ziel und Erfüllung. Keinerlei Anerkennung würde ich mehr bekommen, keinerlei Lob würde ich mehr gelten lassen, da er nicht von ihr käme. All mein Sinnen, all mein Wehen

(C) Wilhelm Busch

war für sie, war nun inhaltslos geworden, war leer und ohne Bedeutung geworden, war mutiert zu einer Farce, die mein Leben in puren Schmerz verwandelte. All mein Hoffen, all mein Flehen

ebenso...

schien so bedeutungslos verpufft zu sein, schien so nichtig den Strom der Zeit hinabgerissen worden zu sein ohne auch nur bemerkt zu werden. Ich fühlte mich so bedeutungslos.

Dabei hatte ich gerade geschafft, nicht mehr in der Vergangenheit zu leben, nicht mehr dem Schönen hinterher zu trauern, dass wir erlebt, durchlebt hatten. Gerade dachte ich geschafft zu haben, was ich so viele Jahre nur befürchtet hatte, was ich so viele Monde zu vermeiden suchte. Auch dies war nun bedeutungslos geworden mit diesen wenigen, leichtsinnig dahergesagten Sätzen von purem Informationsgehalt für mich. Und ich hatte nicht einmal danach gefragt, hätte ich doch genau gewusst, was sie in mir auszulösen in der Lage gewesen wären, was sie in mir tatsächlich anrichteten. Wie immer wäre ich vor mir selbst davon gelaufen. Aber es wäre besser gewesen. Wenigstens ich weiss, wie ich mich konstruktiv selbst überlisten kann. So stehe ich nun am Abgrund, habe den letzten Schritt schon getan und warte nur noch wie der Kojote

Kojote und Road-Runner (C) Warner

drauf, dass die Wirkung der Schmerkraft einsetzt während ich in die Kamera schaue.

Dabei könnte es mir so gut gehen. Ich könnte eigentlich tatsächlich einmal glücklich sein mit dem was ich habe, was ich besitze, was ich erreicht habe und im begriff bin zu erreichen. Aber nichteinmal diese Genugtuung, dass ich mich ihr bewiesen haben könnte gibt mir genügend Lebensfreude wieder. Vielleicht ist es der Punkt, dass sie nicht genug davon mitbekommt, wer ich geworden bin, vielleicht ist es die Tatsache, dass ich kein Feedback von ihr bekomme, dass ich sie viel zu wenig sehe, wenn überhaupt, dass ich viel zu selten mit ihr rede oder wenigstens telefoniere. Vielleicht könnte ich mich viel besser mit meinem Leben abfinden, wenn ich noch oder besser gesagt wieder Kontakt zu ihr hätte, wenn ich wenigstens ab und zu ihre Augen auf mir fühlen könnte, ihre Gegenwart in meinem Dunstkreis verspüren dürfte. Aber all das ist nicht, lässt mich die absolute Kälte dieser doch einsam gewordenen Welt spüren, lässt den Odem der bitteren Realität in meinem Nacken stehen und mich noch einsamer fühlen als ich das je befürchtet hatte.

Dabei ist das eigentlich genau das Gegenteil von dem, was ich erwartet hätte, wenn ich mich einmal genügend von ihr gelöst haben würde, wie ich nun denke es getan zu haben. Aber ist es das wirklich? Habe ich mich wirklich von dem Joch gelöst, alles für sie tun zu müssen, mit jedem Atemzug für den Moment zu leben, in dem ich sie wiedersehen würde, in dem sie wieder in meinem Armen liegen würde?

Offensichtlich ist es noch nicht vorbei.

Ich habe eine Freundin, die mich liebt, die mir das Leben einmal nicht zur Hölle macht, die nicht zu viel von mir fordert ohne selbst genausoviel zu geben bereit zu sein, habe schier endlose Anerkennung in meinem Beruf und in meiner Ausbildung geht es so sehr vorwärts wie lange nicht mehr. Die Zukunftsaussichten sind so rosig wie niemals zuvor und doch kann ich mich nur seltenst daran erfreuen. Gerade einmal in dem Moment, in dem ich Lob bekomme, in dem ich die Anerkennung ausgesprochen bekomme gelingt es mir mich an diesen Worten, an der Intention meines Gegenübers zu erfreuen, gelingt es mir von der Trauer um mein Leben, das ich an sie verloren hatte, zu überwinden. Aber sehr lange hält diese Euphorie nie vor.

Und sie sieht auch noch gut aus. Nicht nur, dass sie mir durchaus verbal gewachsen scheint, was mich ab und an ein wenig erschöpft, sondern sie hat auch noch einen fantastischen Körper, von dem ich meine Finger gar nicht mehr nehmen möcht. Einziges Makel ist ihr wahrhaft fehlendes körperbewusstsein, das ihr scheinbar verbietet sich in engeren, schöneren Kleidern zu zeigen, ihr verbietet für mich ein wenig wenigstens zu posieren oder gar sich vor mir zu räkeln. Vielleicht bin ich auch einfach nur zu verwöhnt, erwarte von meinen 'Partnerinnen diese geringfügige Arroganz bezüglich ihres Aussehens, erwarte dass sie in vielerlei Positionen und Situationen stets wissen wie sie aussehen, wie sie sich drehen oder bewegen müssen damit sie besser aussehen und dass sie wissen, was sie nicht anziehen sollten oder wie sie sich nicht zeigen sollten um nicht schlecht auszusehen. Aber ich rede mir ein, dass man dies lernen kann, rede mir ein, dass ich noch die Kraft dafür aufbringen kann, um ihr dies beizubringen, dass ich vielleicht doch wieder Lust darauf habe, den Lehrer für meine Partnerin zu machen, auch wenn ich dem schon abgeschworen hatte.

Wäre nicht alles viel einfacher, könnte ich mich nicht einfach mal mit dem zufrieden geben was ich habe oder es ebe nicht sein und dafür die Konsequenz aufbringen wirklich so lange zu suchen bis ich genau das gefunden habe? Natürlich wäre es das, aber meine eigene Faulheit macht mir wohl immer wieder einen Strich durch die Rechnung meines Lebens, schiebt meine Passivität in den vordergrund, die mir immer wieder gebietet doch aus der gegebenen Situation herauszuholen, was ich kriegen kann und das beste daraus zu machen, wenn es denn nur im geringsten Akzeptabel scheint. Natürlich wäre es auch der einfachere und schönere Weg mich durch mein Leben zu mogeln, zu leben wie ich es für gut befinde. Wäre da nicht dieser winzige Punkt, dass ich einfach nicht alleine, einsam bleiben kann.

Ich fühle mich immer einsam, wenn ich kein weibliches Wesen an meiner Seite habe, wenn ich mein Bett nicht mit einer weiblichen Person meines Begehrens teilen kann und wenn ich niemanden an meiner Seite fühle, der auch mal über meine Witze lacht weil sie sie wirklich lustig findet. Jemanden zu haben, dem man nicht peinlich ist, der sich nicht für einen schämt, gleichgültig was man mach, irrelevant was man verbricht, einfach nur weil sie es mag bei mir zu sein, weil sie weiss wie sie mich nehmen muss.

Immer wieder kommt diese eine, zentrale Frage in mir auf: warum? Warum hat sie mich damals verlassen? Warum hat sie all das, was wir uns zusammen aufgebaut hatten einfach so hinter sich gelassen und für den schnellen, kurzen, frischen Spass einfach fallen gelassen? Und immer wieder kommt in mir der Gedanke auf, dass ich sie dies vielleicht tatsächlich einmal hätte fragen sollen.

Aber wollte ich das wirklich? Habe ich die Antwort nicht schon selbst gehabt? War sie für mich überhaupt wichtig? Was konnte denn schon gewesen sein? Sie konnte mich einfach nicht mehr geliebt haben. Das musste es einfach mal mindestens sein. Sonst hätte sie sich nicht so sehr einem anderen an den Hals geworfen. Oder aber, sie hatte sich einfach nur von ihm betören lassen, war auf seine schönen Worte, seine Versprechungen hereingefallen und es später vielleicht sogar bereut. Auch das könnte möglich sein. Aber würde ich dies denn tatsächlich noch wissen wollen?

Eigentlich würde das heissen, dass ich sie tatsächlich hätte wieder haben können - damals. Das würde heissen, dass ich wirklich einzig selbst schuld bin an meinem Schicksal. Das würde heissen, dass ich erst recht alles selbst verbockt hatte, was zu verbocken ging. Irgendwie machte mich dieser Gedanke nur noch wütender über mich selbst, noch trauriger.

Und immer wieder musste ich an dieses eine Essen denken. Ich hatte sie am Valentinstag zum Essen ausgeführt. Wir waren schon lange auseinander gewesen und ich nahm mir diesen Tag von meiner Freundin frei um ihn mit ihr zu verbringen, was mir sehr viel bedeutete. Von der Sekunde an, in der sie in meinem Wagen sass ging es mir wieder gut, war mein Leben nicht mehr so leer, schien fast wieder einen Sinn zu haben und ich sah ein Lichtlein am Ende des Tunnels, ein Ziel am Horizont meiner Vergessenheit, in die ich mich manövriert hatte.

Wir redeten über Gott und die Welt, über Parties in den letzten Jahren die wir uns nicht gesehen hatten, über Verflossene - vor allem die ihren - über Fehler die wir in dieser Hinsicht begangen hatten. Und trotz all dem Schmerz den sie mir zufügte, als sie mich einmal mehr nur als eine "Jugendsünde" bezeichnete ging mir doch nie der Gedanke an diese Frage aus dem Kopf. "Warum hast du mich verlassen?", wollte ich immer wieder dazwischenschieben. Und als wenn es dieser blöde Witz

"Meine Freundin hat mich wegen einem Versprecher verlassen, ich hab sie Susi genannt und sie heisst doch Tanja."

"Ja, kenn ich. Ist mir heute früh auch passiert. Ich wollte sagen 'gib mir doch bitte das Salz' und sagte 'Du Schlampe hast mein Leben versaut!'."

gewesen wäre, kamen diese Worte einfach nicht über meine Lippen. So viel Wahrheit wünscht ich mir.

So viel Wahrheit wünsch ich mir? Naja, wohl doch lieber nicht. Oder doch? Wäre dieses Ende mit Schrecken wirklich besser als das, was ich daraus gemacht hatte? Ich suchte mir eine Erklärung mit der ich fast leben konnte, die mich nicht endgültig zerfressen hatte, die mir eine Chance auf mein Leben liess, die mir die Freiheit zu neuen Beziehungen gelassen hatte. Bis heute. Dabei wollte ich all die Informationen überhaupt nicht, wollte garnicht wissen, was mit ihr los ist, mit wem sie zusammen ist, was sie treibt und mit wem. Genau davor bin ich all die Zeit weggerannt, wollte nicht hören, nicht sehen was so natürlich, so offensichtlich ist. Der Grund war so einfach, so nachvollziehbar verständlich, dass er selbst ihm hätte einleuchten müssen. Ich kann mit solchem Wissen einfach nicht leben.

Endlich stehe ich vor ihrem Haus.

Ich gehe weiter bis vor ihre Tür, lehne mich an die Wand. Der Morgen graut schon und während ich noch darüber nachdenke, wann, wie und vor allem ob sie mich gleich entdecken wird wenn sie aus dem Haus geht. Aber selbst das scheint mir kaum mehr relevant.

Die Sonne steigt langsam über die Gipfel der Hügel am anderen Ufer des Flusses in diesem Tal. Man kann richtig sehen wie sich die Helligkeit über die Häuser legt, wie sich die Wärme in dem Tal verteilt, wie sich die Nebel beginnen zu verziehen. Fast schlagartig legt sich der Schein des aufsteigenden Feuerballs auf mein Gesicht, war fast unbemerkt hinter mir die Wand herabgewandert, wärmt meinen in der kälte der Nacht ausgekühlten Körper ein wenig auf, und auch wenn es ihr gelingt meine Haut zu erwärmen ändert sie doch recht wenig an meinen Gefühlen.

Ich kann kaum mehr grade stehen, kaum mehr gehen. Ich lehne mich an die Wand, sinke an ihr herunter, sinke wieder ins dunkle. Keine Lust mehr. Keine Kraft mehr. Setze mir den Lauf an den Gaumen.

BLAM!!!