Die Lesung

"Schön dass wir uns heute hier zusammengefunden haben. Wie sie ja sicherlich alle im Vorwort gelesen haben, ist mein neues Buch nicht autobiographisch, sondern ausnahmsweise einmal eine frei erfundene Geschichte. Aber das soll dem natürlich keinen Abbruch tun."

Ein lächeln werfe ich in die mich anlachende Runde meiner Zuhörer. Sie sind alle meine Fans, oder zumindest Menschen, die sich für meine Arbeit interessieren. Ich kann es ihnen sogar ansehen, dass sie sehr gespannt sind zu erfahren, wie ich wirklich bin, ob ich wirklich der bin, von dem ich immer geschrieben habe, ob ich wirklich so bin, wie sie sich alle vorgestellt haben, was sie in mich hineinprojizieren. Aber auch Zweifel sehe ich in ihren Augen, in ihren Gesichtern die mich vor allem aus den hinteren Reihen verächtlich ansehen.

Aber was soll man schon als Schriftsteller dagegen machen. Mehr als ein gutes Buch schreiben, oder zumindest eines schreiben hinter dem man auch steht, kann man eigentlich nicht. Es wird immer Menschen geben, die das eine gut, das andere besser und das dritte überhaupt nicht mögen werden. Solange es auch nur einen einzigen Menschen gibt, der meine Geschichten gut findet, sich damit vielleicht sogar irgendwo identifizieren kann, oder sie einfach nur fesselnd findet aus welchem Grund auch immer, so lange werde ich weitermachen. Und wenn ich der einzige bin, der gerne meine Bücher in der Hand hält, dann ist es zumindest etwas, hinter dem ich absolut stehe, für das ich mich bestimmt nicht schämen werde.

Sollen sie es mir doch erst einmal nachmachen. Gemeckert ist schnell, aber beim Bessermachen scheiden sich dann schon die Geister und lässt so manchen Zweifler verstummen.

Ich setze wieder an.

"Es ist nicht wirklich völlig erfunden. Den Ort gibt es wirklich, ich habe nur versucht, die Atmosphäre ein wenig einzufangen, und da ich denke, dass mir dies hier recht gut gelungen ist, möchte ich das einmal vortragen - zumal es auch eine der aufwühlenderen Stellen ist."

Wieder lächle ich in mein Publikum, das schon zu ahnen scheint, was jetzt kommen wird, denn sie lachen mich wiederum an. Ich schlage das Buch auf. Ich weiss genau, auf welcher Seite ich die Stelle an die ich gedacht habe suchen muss, schliesslich habe ich seit jeher die gesamte Herstellung in meiner Hand behalten. Ich mag es nicht, wenn mir irgend jemand in meinen Worten herumpfuscht, und sei es nur, dass er den Satz oder den Umbruch verändert. Selbst auf die Zeichenhöhe lege ich oftmals Wert.

So fällt es mir auch hier leicht, mir hinreichend bekannte Seiten zu finden, auch wenn es Jahre her ist, dass ich dies produziert habe. Wenn ich die Worte wieder vor Augen habe ist es, als hätte ich es gestern erst geschrieben. Zumindest bin ich dann genauso stolz auf diese Zeilen wie in diesem Moment des inspirativen Hochs.

Ich beginne vorzutragen.

"Also die Hauptfigur befindet sich in einer Phase der Depression, die er seine Umwelt nicht spüren lässt und verbringt seine Nächte in seiner Stammdisco. So auch in dieser Nacht, aus der ich nun vorlesen werde."

Einen flüchtigen Blick in mein Publikum kann ich noch erhaschen und das Lächeln der ersten Reihen sagt mir, dass sie genau wissen, aus welchem Kapitel ich gleich vorlesen werde. Sie scheinen es wirklich zu kennen, meine Fans, und die Tatsache, dass sie lächeln lässt mich hoffen, dass ich das nicht gar so schlecht gemacht hatte.

Ich halte mir das Buch näher an die Augen, um mich besser auf die Worte konzentrieren zu können. So gut war ich noch nie im Lesen und deshalb mochte ich es auch noch nie, vorzulesen. Erst recht nicht vor einer grösseren Menge Menschen die an meinen Lippen hängen würde.

"Und als mir die Erlebnisse des letzten Tages wieder durch meine Gedanken flüchteten, zwang sich mir einmal mehr die Gewissheit auf, die ich jedesmal zu spüren in der Lage war, wenn sich ein Blick auf mich legte. Wieder fühlte ich eine Veränderung zu all den anderen Blicken, die ich ebenfalls, da aber eher als Nebensache, auf mir zu bemerken in der Lage war. Dieser eine Strom der Lichterfassung aus den lodernden Augen einer Unbekannten scheinend liess in mir schon wieder den Wunsch nach ein bisschen Spass aufflammen. Einfach nur Spass haben und geschehen zu lassen, was denn zu erleben ist ohne an ein Morgen denken zu müssen, ohne den gezwungen Wunsch, mehr aus etwas entstehen zu lassen, was von beiden Seiten unwahrscheinlicherweise beabsichtigt ist, das erscheint mir eine Situation vollkommen losgelöst von allen bekannten Moralvorstellungen und ethischen Beziehungskisten und deren einzuhaltenden Gesetzen, aber als vollwertige Lebensphilosophie dennoch nicht akzeptabel.

Das ändert aber nichts an dem Blick, der sich mir näherte und nicht ohne mich dezent an einer Stelle zu berühren, an der sie mir deutlicher als überall sonst sagen konnte was sie erwartete. Dass ich mich dennoch nicht rührte schien sie nicht weiter zu stören, denn als sie das nächste Mal an mir vorbeiglitt, fand ich ein wesentliches Utensil ihrer Bekleidung in meiner Jackentasche, das mir noch wesentlich deutlicher ihre Absichten offenlegte. Folglich stellte ich mich der Herausforderung der Heimlichtuerei einer Handlung in aller Öffentlichkeit, die doch in anderer Stimmung unter anderen Voraussetzungen hinter die Türen eines heimischen Raumes zu gehören scheint, was aber in diesem Moment nicht sehr von Interesse war, denn kaum war ich wieder in ihr Sichtfeld eingetaucht, sprang sie auch schon auf, fast vor mir flüchten wollend aber weiter mir heimliche Blicke zuwerfend, und verschwand hinter einer Ecke, in einer Nische, zumindest in einer dunklen Ecke dieses Partyplaces und als ich mich ebenfalls dieser Einbuchtung näherte, in deren Nähe ich schon das mich Erwartende fast riechen konnte, das da auf mich zuzukommen schien sah ich auch schon ihre baren, weissen, nackten Schenkel, die sich ab und zu in dem blitzenden Flackern der fluktuierenden Discostrahler zeigten und in mir ein Verlangen aufkommen liessen, dass mich nur noch nach mehr schreien lassen wollte, das mich trieb diese letzten Meter zu gehen und mich ihr preiszubieten.

Ohne jegliche Vorbereitungen wollte sie mich einfach nur spüren sobald ich auch den letzten Schritt zu ihr hinter mich gebracht hatte - zog mich an sich heran, riss mir das Hemd empor, meine Brust offenzulegen und sich hinter dem wallenden Stoff meines Hemdes verstecken zu können, sich darin einzuwickeln und sich selbst ebenfalls der verdeckenden, versteckenden Dinge entledigen zu können, um höchst selbst das Gefühl ihrer prallen Brüste an meinem rauhen, fröstelnden Oberkörper zu spüren. Als sie mir dann die Gewissheit gab, dass es tatsächlich ihr Kleidungstück war, das sie mir da offen zu gesteckt hatte und meine Hand führte wo sie es nach verlangte war endlich jeglicher Zweifel verflogen und auch meine eigene Erregung für sie durch dicke Lagen Stoffes spürbar geworden, da sie sogleich begann Freiraum einzuräumen und hervorzuholen, was es noch vorzubereiten galt. Einmal mehr bekam ich den Vorteil einer kleineren Frau offenkundig vor Augen geführt, vor allem einer leichteren - ansonsten wäre es mir wohl nicht gelungen, sie ohne eigene auffällige Bewegungen, Veränderungen meiner Position in eine Lage zu heben, in der das Einführen selbst unter ihrer manuellen Anleitung leichter fallen konnte.

Sie presste immer mehr ihren Schenkel an meine Seite, sie schob meine Hand immer weiter um sie herum, sie zog sich höher zu mir herauf um sich leichter über mich führen zu können, um mich näher zu spüren und um mir zu zeigen, dass sie gerne gespielt werden möchte. Ihr Verlangen zu erfüllen war in diesem Moment nicht primärer Beweggrund für mein Handeln - eher schon mein eigener Wille, der mich zu immer neuen, immer härteren Bewegungen verleitete und der ihr auch den Mund zuhielt, als sie beginnen wollte ihre Lust herauszuschreien und sie dabei fast ersticken liess, als meine Hand ihr doch zu viel der Körperöffnungen zuzuhalten begann.

Neue Luft einatmen könnend schien sie alsbald meine Stösse zum Rythmus der laufenden Musik noch intensiver und süchtiger zu spüren als eben noch und begann sich, verdeckt durch mein Jacket, immer höher an mir anzuhängen, ihre Beine immer höher und enger an mich geschmiegt und mit dem Rest ihres Körpers um Halt bangend an mich zu drücken, mein Feuer in das Verlangen ihrer Lenden noch weiter einziehen wollend und sollte nicht eher von mir ablassen, als dass nicht jeder Winkel, jeder Millimeter, jede Zelle ihres prallen, sich nach heftiger Berührung verzehrenden Körpers von mir mit Nachdruck gewürdigt worden war."

Ich las schon seit ein paar Zeilen nicht mehr vor. Es war nicht so, dass ich es auswendig gewusst hätte, dass ich es mir kurz zuvor schon einmal durchgelesen hätte um freier vortragen zu können. Es war vielmehr, dass mich die Erinnerung an das plagte, was mich zu diesen Zeilen inspiriert hatte, und ich liess es wieder aufleben. Ich war wieder an dieser Stelle in meinem Leben, an der ich in dieser Disco stand und von dieser Frau verführt worden war, und ich liebte es noch immer.

Zum Glück verbarg meine Hose, was sich weiter unten an mir abspielte, denn auch an mir hinterliess dieser Stoff ein jedes Mal seine Spuren. Immerhin hatte ich es in genau einer solchen Phase geschrieben, sass mit genau einem solchen Zustand in der Hose vor der Tastatur und schrieb davon, was mir durch den Kopf ging, und das war mehr als beflügelnd.

Leise klappte ich das Buch zu und hielt es nur noch in meiner Hand, schloss die Augen langsam und erzählte weiter wie es mir über die Lippen floss, wie es mir aus dem Gehirn stieb und wie ich es sicherlich ebenfalls geschrieben hätte. Ich war selbst so tief in diese Atmosphäre eingetaucht, hatte mich so sehr in meinen Erinnerungen an diese Szene verrannt, dass es mir weniger Schwierigkeiten bereitete frei weiterzusprechen als denn, wirklich konzentriert und vor allem fehlerfrei und flüssig vorzulesen.

So sprach ich also weiter ohne mir weiter Gedanken darüber zu machen, was und wie ich es sagte und vor allem, ob meine Zuhörer gesehen haben könnten, dass ich gar nicht mehr aus dem Buch selbst lese, sondern eine, meine neue Interpretation, eine neue Inspiration dazu liefere.

"Meine Hände begannen sich immer schneller zu bewegen und meine eigene Sucht nach gleichartiger Berührung raubte mir beinahe selbst den Atem und mit jedem Stoss, den sie mir abverlangte mit dem sie mich in sich hineinriss, zerfloss meine Konstitution förmlich in ihr, mit jedem Ruck, mit dem sie die Gefahr witterte, ich könne mich zu weit von ihr entfernen wurde ihre Umklammerung härter und fordernder, mit jeder Bewegung die ich mit der vermeindlich falschen Faser vollführte ohne vorher um Erlaubnis geleckt zu haben, bohrten sich ihre Zähne und Krallen tiefer in meinen Körper. Ihr immer lauter gewordenes Kreischen wurde kaum noch von der aufgedrehten Hintergrundmusik übertönt und auch die umstehenden Personen bauten unmerklich einen Kegel des Schweigens um uns herum auf, der mich vollkommen abschalten liess, um endlich die Absurdität dieser Situation vollends geniessen zu können. Endgültig aufgeheizt durch ortsbedingten Sauerstoffmangel und situationsbegründeten Kleidungsüberfluss zerfliessen die Ströme unserer Körperflüssigkeiten zu einem gemeinsamen Ozean der Ekstase der keine Ufer zu kennen scheint und uns zu einer Einheit verband, gemeinsam agierend, gemeinsam atmend, gemeinsam das glühende Magma der Lust durch unsere Adern fliessen spürend."

Mit diesen Worten war nicht nur diese kleine Nummer mit der Gespielin vorbei, sondern auch die Lesung zu Ende. Mir lief ein Schweisstropfen die Stirn herunter, als ich das Buch neben mich legte und meine letzten Worte als lesende Instanz an meine Zuhörer richtete. Es hatte mich wirklich etwas erschöpft, so frei zu reden, so meinem Wortfluss freien Lauf zu lassen ohne die Chance zu haben, dies auf dem Papier zu wiederholen, wiederzuholen, festhalten zu können. Ich bedauerte die verlorenen Gedanken, die in diesen Minuten im Grunde so verschwendet waren.

Anders hingegen meine Zuhörerschaft, die gar nicht mehr aufhören wollte zu applaudieren. Ich wusste gar nicht recht, wie mir geschah, hatte ich doch nichts anderes getan als ich jedes Mal tue, wenn ich ein paar Zeilen schreibe.

Selbst die Zweifler in der letzten Reihe klatschen wie wild mit und strahlten mich aus begeisterten Augen an.

"Ich werde noch ein paar Stunden hier sein, wenn sie also etwas signiert haben möchten dann tun sie sich bitte keinen Zwang an."

Nach einer Weile kam dann der Oberzweifler aus der hintersten Ecke ebenfalls gleich mit einem ganzen Stapel frisch gekaufter Bücher von mir. Ich hätte ihn so sehr inspiriert meinte er, dass er gleich mehr von mir lesen musste. Er hätte es phantastisch gefunden, meinte er. Er sei fasziniert an meinen Lippen kleben geblieben, meinte er. Kann es ein schöneres Kompliment für einen Menschen wie mich geben?