50 Hz Teil 3
Ich öffne die Augen, schaue mich um. Hatte ich all dies wirklich nur geträumt? War all dies wirklich so abwegig gewesen, dass es nur in einem Traum wahr werden konnte? Hatte ich mir vielleicht sogar nur meine innersten Ängste erfüllt? War dies die zentrale Furcht meines Unterbewusstseins, oder nur fremd kontrollierte Nervenstimulationen, ausgelöst durch diese Virtual-Reality Ausrüstung, in der ich mich noch immer sah.
Ich stehe auf. Zumindest kann nicht alles an den Haaren herbeigezogen gewesen sein. Meine Augen schmerzen schon wieder, aber wohl nur, weil ich noch einen Sack voll Schlaf zwischen meinen Lidern habe. Wenn ich unter der Dusche wieder raus bin sieht bestimmt alles ganz anders aus.
Naja, oder auch nicht. Das flimmern ist noch immer da, selbst jetzt, wo ich aus dem Bad wieder raus bin und natürliches Licht sehen sollte. Das sollte nicht flimmern. Ich fürchte es ist tatsächlich wie in meinem Traum, ich bin gefangen in einer Simulation. In einer verdammt echten, realistischen zwar, aber nur in seiner Simulation. Ich bin sehr versucht mir meinen Schädel an die Wand zu schlagen und zu sehen was passiert, ob ich vielleicht sogar reproduzieren kann, was mir widerfahren ist oder ob einfach gar nichts passiert. Auf jeden Fall werde ich erst einmal zur Arbeit gehen, soll die Welt um mich herum doch flimmern so viel sie will.
Irgendwie sinnlos, hier durch die strassen zu gehen, wo ich doch eigentlich weiss, dass all dies nur eine Illusion ist, nur ein Schatten seiner selbst, dass die körperlichkeit all dieser Gegenstände, die Erscheinung all dieser Personen doch nur Schein ist, aber was sollte ich auch daran ändern, warum sollte ich etwas daran ändern, ich habe ja eben erst sehen müssen, wie es einem Weltverbesserer ergehen kann, wenn er einfach nur helfen will. Wahrscheinlich hätte ich einfach nur den Mund halten sollen und ich wäre mit heiler Haut davon gekommen. Aber ernsthaft ausprobieren möchte ich dies eigentlich auch nicht wirklich - zumindest nicht jetzt.
Dennoch scheint es mir Sinn zu machen, diese wahre Welt ein wenig zu erforschen, auszuprobieren, ob ich wirklich über den Tellerrand schauen kann, ob ich wirklich hinter die Kulissen schauen darf. Zumindest in meinem Traum, wenn es denn wirklich einer war, konnte ich einfach so ohne weitere, körperliche Schäden die Brille abnehmen, konnte mich von de Joch dieser Technologie befreien. Ob es jetzt auch funktioniert, werde ich ja gleich sehen. Ich will mir nur schnell einen sicheren, einsamen Platz in der nächsten, leeren Strasse suchen.
Kaum um die Ecke beginne ich auch schon damit, meinen Kopf weiter abzutasten, ein bischen daran herum zu reiben und zu versuchen eine Unebenheit an meinem makellosen Antlitz zu finden. Noch scheint mir dies alles recht wage, kann ich mich doch kaum mehr daran erinnern, wie ich dies in meiner Vorstellung getan hatte. Aber so nach und nach, nachdem ich mir ein paarmal tatsächlich gegen den Schädel geschlagen, mir ein paar mal die Augen fast aus dem Kopf gedrückt habe gelingt es mir dann doch einen ersten, spaltenhaften Blick auf die Welt zu werfen, wie ich sie befürchtet hatte - und es ist nicht viel besser als in meiner Erinnerung.
Ich nehme sie nun vollends ab und schaue mich um. Es ist wirklich alles, wie in meiner Erinnerung, wie es mir vielleicht mein Unterbewusstsein dies Nacht noch vorgespielt haben mochte, aber je mehr ich mich umschaue, desto mehr bezweifle ich, dass all dies überhaupt ein Traum gewesen war, fürchte, dass ich nur irgendwann mitten in meinem Plan eingeschlafen war oder auch betäubt worden war. Aber all dies ist nun unwichtig geworden, denn ich lebte ja offensichtlich noch und kann mich zudem auch noch sehr genau daran erinnern, was ich angestellt habe. Und genau dies muss ich nun unbedingt verifizieren.
Nachdem ich mich genügend umgeschaut habe, mir die grauen Fassaden der heruntergekommenen, oftmals eingestürzten Häuser um mich herum betrachtet und die blass blauen Anzüge meiner Mitmenschen in Augenschein genommen habe marschiere ich auch geradewegs, jedoch mit aufgezogener, rosaroten Brille zu dem Punkt, an dem in meinem Traum der Terminal mit dem Aufzug gestanden hatte - oder besser gesagt zu der Wand, hinter der sich all dies verbergen sollte.
Und tatsächlich finde ich auch, wonach ich suche, finde die Wand wieder, die mir in der virtuellen Umgebung meiner bisherigen Realität den weg versperrt und auch erwartungsgemäss nicht mehr da ist, als ich die Brille von meinen Augen nehme. Mein Herz schlägt auf einmal sehr viel mehr, al sich es gewohnt bin, bin ich doch gerade dabei die Grenzen meiner Welt aufzustossen als ich durch die nun unsichtbare Barriere stolpere, die mich zurückzuhalten versucht. In Anbetracht der relativen Leichtigkeit meines Eindringens in diese Umgebung kann ich es kaum glauben, dass bisher niemand jemals diesen Ort gefunden hat, dass sich niemand gewundert hat dass man durch diese Wand hindurch gehen kann. Aber dies ist wohl tatsächlich nur ein kleiner, unwichtiger Gedanke am Rande.
Langsam und vorsichtig gehe ich auf den Bildschirm zu, den ich am Ende dieser Sackgasse, die sich vor meinen wahren Augen aufgetan hat, erspähen kann. Ständig fürchte ich, von einem Trupp der Roboter, die ich ja eigentlich noch nicht wirklich gesehen habe, entdeckt und erwischt zu werden, aber es geschieht nichts und auch, wenn ich selbst bei kleinsten Geräuschen in meiner Umgebung erschreckt zusammenzucke bleibt es doch immer vollkommen unbegründet.
Ich stehe vor dem Bildschirm und überlege, was es mir wohl bringen könnte, jetzt etwas zu verändern, wo ich doch genau weiss, wie es enden würde wenn ich die Menschheit befreien würde. Aber da fällt es mir wieder ein, wie schuppen von den Augen, denn da mussten sie wohl gewesen sein in Anbetracht der bisherigen Bildqualität. Ich erinnere mich wieder an das, was wohl ein Traum gewesen war, an den Mann, der von einem virtuellen Auto angefahren auf der Strasse lag und von den Robotern versorgt worden war, von Robotern, die seine Ausrüstung korrigierten.
Dies würde wohl die Lösung meines chronischen Kopfschmerzproblems werden, denke ich bei mir als ich ein paar Kommandos eingebe, die mich auf die Liste der zu versorgenden Personen setzt. Ebenso versuche ich mir ein paar mehr Rechte in diesem System einzuräumen, versuche mir einen direkten, virtuellen Terminal innerhalb der Simulation zu ermöglichen, versuche es so einzurichten, dass ich nicht für jeden Zugriff auf das MCP diesen doch recht langen weg machen muss. Und tatsächlich gelingt es mir nach einigen Minuten auch die richtige Konfigurationsdatei zu finden und mich dort gütlich zu tun, mich mit Rechten in Hülle und Fülle zu versorgen.
Nun habe ich alle Möglichkeiten offen. Nicht nur, dass ich mit einem einfachen Fingerzeig einen virtuellen Terminal direkt vor mir erschaffen kann, ich kann auch noch mehr. Direkt durch die Luft zu fliegen wurde mir zwar verweigert, aber da dies als disable'te Funktion zumindest mehr oder weniger zur Verfügung steht bin ich zumindest angespornt, mich weiter mit dem System zu beschäftigen. Nun bin ich auch in der Lage mich von einem Ort zum anderen zu bewegen ohne auch nur einen einzigen Schritt zu tun. Ich hatte mir ein paar Gesten eingerichtet, mit denen ich diese Funktionen steuern können würde und die bei weitem nicht trivial waren, so dass wohl niemand aus purem Zufall darauf stossen wird. Vielleicht werde ich sie irgend wann einmal für meine Nachkommen dokumentieren, damit sie auch in den Genuss meines Wissens kommen werden, aber bisher mag ich die Geheimhaltung doch lieber als von allen gejagd zu werden.
Ich schliesse das Terminal, verlasse die Konfiguration meiner Person und gehe wieder aus der Gasse heraus. Noch einmal blicke ich zurück, blicke wehmütig den Gegenstand an, der mir wahrscheinlich so viel Macht über meine Umgebung gegeben hat, drehe mich um und setze die Brille wieder auf. Weiter in die Stadt gehe ich, will an relevanten Orten ausprobieren, was ich mir eben ermöglicht habe, und ich fange mit der wichtigsten Funktion an. Weit in die Luft hebe ich meinen Zeigefinger und bewege ihn so, wie ich es aus den default-einstellungen übernommen habe. Doch zu meiner Verwunderung geschieht gar nichts. Vorerst zumindest. Gerade will ich mich schon wegdrehen und weitergehen, da erscheint es vor mir, das Terminal. Es beschränkt sich wirklich auf das absolut nötigste, mehr als eine transparente Tastatur und einen darüber schwebenden Bildschirm gibt es nicht zu sehen, aber mehr werde ich ja auch nicht brauchen um zu herrschen.
Als ich das Terminal wieder verschwinden lasse ist es, als wäre ich neu geboren. Die Existenz dieses virtuellen Gerätes zu meinem Zugriff ist wie die Bestätigung für meine wildesten Phantasien über Allmacht in dieser Welt. Zumindest zu einem grossen Teil, denn altern werde ich wohl noch immer - zumindest biologisch. Auch dies habe ich wohlweislich abgestellt. Mein Anblick wird alle Zeiten gleich bleiben, so alt ich auch werde. Werde immer den gleichen, jugendlichen Charme versprühen wie ich ihn jetzt, in diesem Moment besitze. Sogar an überlebenswichtigere Dinge habe ich gedacht. So habe ich es zum beispiel auch abgeschaltet, dass ich von irgendwelchen Gegenständen oder Projektilen durchbohrt werden könnte, oder gar, dass ich durch eine biologischere tödlichkeit mein Leben aushauchen würde. So umsichtig bin ich dann schon.
Ich tänzele belustigt von meinen eigenen Fähigkeiten über die Strassen und sehe gar nicht kommen, was mich da so hinterhältig aus dem toten Winkel heraus anzugreifen versucht. Nur umschauen will ich mich, als ich es kommen sehe und auch gleich versuche, noch auf die Seite zu springen als mir klar wird, dass dies wohl der Wagen ist, der dafür sorgen wird dass ich während des Austauschs meiner defekten Gerätschaften ohne Bewusstsein sein würde. Was sollte mir auch passieren können, hatte ich doch eben noch dafür gesorgt, dass bei dieser Aktion eher der Wagen zu schrott gefahren wird als denn ich auch nur einen Kratzer davon trage.
Es macht einen heftigen Rumms, als es mich trifft und reisst mich auch sogleich zu Boden. Er hat gerade noch gebremst, mich sehr glaubwürdig schockiert dabei angeschaut als wolle er es wirklich nicht, ja als würde er sogar existieren. Als nächstes verliere ich dann jedoch tatsächlich das Bewusstsein. Das letzte was ich noch sehen kann ist nur noch das flimmernde Bild des Himmels über mir, dann gehen die Augen erst einmal zu - wenn auch nicht für sehr lange.
Ich öffne die Augen. Ich liege noch immer auf der Strasse und ein Passant hilft mir aufzustehen. Kurz und irgendwie orientierungslos bedanke ich mich noch bei ihm und ging weiter meines Wegs, immerhin will ich ja meine neuen Fähigkeiten ein wenig mehr austesten. Als ich dann jedoch einige Meter gegangen bin fällt es mir erst recht schlagartig auf. Nichts flimmert mehr, alles ergiebt eine absolut klare, unverschwommene Sicht der Dinge. Endlich habe ich eine normale Sicht der Realität, wie sie sich uns allen bieten sollte, wieder bekommen. Die Droiden haben wirklich sehr gute Arbeit geleistet.
Noch einmal probiere ich aus, den virtuellen Zugang zu meiner neuen Macht auzurufen. "Computer! Terminieren!"
Startrek TNG, in einer Sherlock-Holmes simulation...
sage ich und werde von allen Seiten dumm angeschaut. Ach, Mist, falscher Film, ich muss ja mit dem Finger zeigen und winken. Wenige Sekunden später habe ich den Bildschirm vor der Nase und bin zufrieden. Zumindest dies funktioniert noch. Wo ich ihn gerade vor mir habe kann ich eigentlich auch schnell noch die Sichtbarkeit meiner Person korrigieren. Wenn ich das machen will, was ich vor habe, dann würde es sehr ärgerlich sein, wenn ich von jedem gesehen werden kann. Ausserdem kann ich es ja jederzeit wieder korrigieren.
Geld brauchte ich erst einmal, und davon eine ganze Menge. Wenn ich zum Geldautomaten gehen würde will ich mir keinerlei Sorgen darum machen müssen, ob ich mir dies auch noch leisten kann. Ich werde mir erst einmal ein paar Kontonummern der reichsten Männer der Welt besorgen, um ihnen dann, als unsichtbarer Geist immer um sie herum, den einen oder anderen Überweisungsträger unterzuschieben, werde mir von jedem der Herrschaften die eine oder andere Milliarde zuschieben lassen. Der Plan ist so einfach, dass er einfach funktionieren muss.
Und wenn nicht, dann ist es auch nicht weiter schlimm. Immerhin wird mich ohnehin niemand sehen können, ich kann also leben wo und wie immer ich es will, werde tun und lassen können was immer mir beliebt und niemand wird mich jemals dafür zur Rechenschaft ziehen können.
Gesagt, getan und schon stehe ich bei einem der reichsten Softwaremilliardäre vor der Tür, wartete darauf, dass irgend jemand kommt und ihn besucht, was auch kaum zwei Minuten dauert. Ich trete einen Schritt zur Seite und lasse ihn klopfen. Jedoch geht die Tür nur einen spalt weit auf und er schlüpft hinein, ohne mir auch nur eine halbe Chance zu lassen, ebenfalls in den Raum zu gelangen. Ich sehe schon all meine Pläne dahinbröckeln, will gerade schon wieder gehen und mich irgend wo selbst beweinend vergraben.
Aber was soll mir diese Nebensächlichkeit schon anhaben können. Ich werde einfach die Brille abnehmen, ein paar Schritte auf sie zu machen und wieder aus direkter Nähe meine Ziele begutachten können.
Ich versuche die Kappe wieder von den Augen zu nehmen, will versuchen wieder die Sicht der echten Realität zu erhaschen, nicht nur die der virtuellen, so unwichtig dies in Anbetracht meiner neu erlangten Seherischen Fähigkeiten nun auch ist.
Es funktioniert nicht. So sehr ich auch an meinem Kopf zug und herum drücke, so sehr ich probiere eine kleine Unregelmässigkeit an meinem Anzug zu finden an der ich ziehen kann, an der ich vielleicht den Rand der Brille packen kann, alles bleibt von keinem Erfolg gekrönt. Ich werde mich wohl damit abfinden müssen, dass ich in dieser Welt gefangen bleibe, dass ich niemals mehr mit ansehen muss, wie die Menschen sich grauen Schleim hinter die Binden giessen oder an irgendwelche beigen Klumpen kauen die sie für etwas wahrhaft Schmackhaftes halten. Nun, vielleicht ist es gar nicht so schlimm, dass ich dies nicht mehr sehen kann, so toll ist die Wirklichkeit auch nicht, dass ich sie unbedingt sehen muss.
Immerhin bin ich nun ein Gott.
Naja, zumindest sehr dicht dran.