Die Welt hat 50Hz!

Es ist wie verhext, noch immer habe ich dieses flimmern vor Augen. Dabei sitze ich gar nicht mehr vor meinem Monitor. Aber warum sollte der denn auch flimmern. Zumindest zeigt er mir immer an, dass er mit ach so vielen Herz laufen würde. Dafür war er ja auch teuer genug, dass er mir ein ergonomisches Bild zaubern kann. Vielleicht sollte ich mich nur nich so anstellen.

Vielleicht sollte ich aber auch mal unter freien Himmel treten. Natürlich wird mir alles viel flimmeriger vorkommen, wenn ich noch unter einer Neonlampe stehe, die sowieso nicht mehr als die frequenz des Wechselstroms

in Europa sind die 50, in USA 60Hz

zulässt, und das sind hier nun einmal fünfzig Herz. Überall hängen diese Dinger an den Decken, da ist es ja kein Wunder, wenn ich es irgendwann nicht mehr ertragen kann, dass alles um mich herum so flimmert, so ein waberndes Bild gibt wenn ich ein bischen zur Seite schaue.

Meine Kopfschmerzen werden wirklich immer schlimmer. Heute morgen hat es ja schon angefangen, hatte mir so ein bohren hinter dem linken Auge verpasst als ich aufgestanden war und in den Spiegel geschaut habe. Ich hab mich im ersten Moment gar nicht sehen können, so sehr war ich von diesen Schmerzen abgelenkt, musste mich erst einmal eine Runde zusammenreissen um wieder richtig sehen zu können. Und dann gings erst recht los.

Vom linken wanderten sie erst einmal auch zum rechten Auge herüber und krallten sich dann irgendwann direkt unter meiner Schädeldecke fest, fühlten sich genauso an wie die Bohrwürmer aus Startrek II, die dem Chekov aus dem Ohr gekrochen kamen als er versuchen sollte Captain James Tiberius Kirk zu erschiessen.

Allerdings waren diese Schmerzen viel länger anhaltend, versprachen viel weniger Abwechslung und viel weniger Chance auf eine Besserung. Bei ihm war es wenigstens vorbei, nachdem der Wurm aus seinem Ohr rausgekrochen kam, aber bei mir ist die Wahrschienlichkeit dafür doch sehr gering. Zumindest habe ich bisher noch nicht von derartigen Bohrwürmern gehört.

Und dann natürlich durch die U-Bahn. Wie könnte es auch anders sein. Latürnich ist die auch mit Neonröhren beleuchtet, natürlich hatte ich ständig wieder dieses flackern vor den Augen, als wenn es nicht reichen würde dass ich eh schon einen dröhnenden Schädel habe, musste auch noch jeder Ort, durch den ich durch musste eins drauf setzen.

Der Arbeitsplatz war nicht viel besser, nur dass es sich hier noch einmal steigerte. Nicht nur, dass ich natürlich die unvermeidbar scheinenden Neonröhren an der Decke hatte, nein es war natürlich auch noch ein schlecht erscheinender Monitor im Raum und obendrein noch ein Überwachungsbildschirm, der ohnehin nicht so dolle war. Ich dachte noch, dass man sich an alles gewöhnen würde, aber ganz so einfach war es dann doch nicht. Vor allem nicht, wenn man nicht vermeiden kann diesen blöden, blinkenden Bildschirm direkt in seiner Blickrichtung zu haben und gar anders kann als ihn irgendwie wahr zu nehmen.

Ich gehe endlich aus dem Gebäude raus, kann endlich wieder die Sonne sehen, oder zumindest erahnen, dass sie da igendwo sein muss. Der Himmel ist bewölkt und fast scheint es mir, als wolle es gleich regnen. Zum Glück hab ich aber meinen Regenschirm dabei, soll also ruhig kommen was will, ich werde gerüstet sein. Aber die Schmerzen werden davon auch nicht besser. Nicht einmal die Aspirin, die ich vorhin eingeworfen habe haben geholfen und auch jetzt spüre ich keine versprochene langzeitwirkung. Vielleicht wenn ich einfach mal ein paar Meter zu Fuss gehe, anstatt mir den Schädel weiter in der U-Bahn zu zermartern.

Aber irgendwie hilft das alles doch nichts. Ich sehe noch immer alles flimmern, sehe die realität noch immer nicht so, wie sie eigentlich sein sollte, wie ich sie irgendwie gewöhnt war. Dabei war gestern eigentlich noch alles in Ordnung, da hat zumindest nur der Monitor der Überwachungskamera geflimmert, und das ist ja immerhin normal.

Ich gehe weiter und schaue durch die Fensterscheibe eines Kaufhauses, schaue mir die Anzüge an, die sie ausstellen, versuche mich tatsaechlich einmal nach etwas neuem zum Anziehen umzusehen, aber es gelingt mir nicht einmal, mich von diesem Gedanken abzulenken, der durch meine Kopfschmerzen nur noch mehr verstärkt wird, dem ich einfach nicht entrinnen kann, dem Gedanken, dass alle flimmert.

Weiter versuche ich meinen Heimweg auf der Oberfläche zu finden, gehe durch die Fussgängerzone in der Innenstadt. Eigentlich ja ganz schön hier, wenn bloss nicht alles so flackern würde. Dabei sind hier gar keine Laternen oder auch Lichter vor den Häusern angeschaltet, habe gar keine Möglichkeit auf natürlich unnatürliche Weise diesen Effekt zu erzeugen. Es ist wie verhext.

Ich bleibe an einem Kiosk stehen und schaue mir ein bischen die Tratschzeitungen an. Lauter schöne Menschen. Ob die das auch ertragen müssen denk ich noch bei mir und wieder kann ich den Gedanken darueber nicht unterdrücken wie es mir geht und vor allem warum. Ich entschliesse mich sogar dazu, eine von ihnen zu kaufen. Zwar ist sie ein bischen schmutzig, aber wenigstens wird sie meine Phantasie ein bischen beflügeln, auf ein anderes Thema lenken.

Ich nehme sie und gehe zum Verkäufer, will ihm schon mein Geld in die Hand drücken als mir abermals auffällt, dass sogar die Menschen um mich herum zu keiner fliessenden Bewegung mehr fähig scheinen, sich auch abgehackt und sich auch nur schaffen mit gerade einmal fünfzig Frames zu bewegen.

Ich scheine ihn wirklich sehr blöde anzuschauen als ich meine Hand zum zahlen gestreckt vor ihn halte und mich dann doch nicht mehr bewege, ihn anstarre und mich darüber wundere wie ich ihn sehe. Es bedarf dann auch eines kurzen Kommentars von seiner Seite um mich aus meiner lithargischen Starre zu befreien.

Mein Schädel klopft immer härter, scheint gleich zu zerplatzen. Ich kann einfach nicht mehr, ertrage diesen Schmerz nicht. Ich fasse mir verzweifelt an den Kopf, schlage mir dagegen, will mich irgend wie von den Schmerzen ablenken und sei es damit, mir an anderer Stelle noch mehr davon zuzufügen, aber es funktioniert nicht. Noch immer sind sie da. Es scheint nicht nur eine Migräne zu sein, dies muss ein ausgewachsener Gehirntumor sein der da in meinem Kopf heranwächst, und das mit exponentieller Geschwindigkeit wie mir scheint, denn mit jeder Minute, die ich damit verbringe mit dem Kopf durch irgend welche Türen zu laufen scheint es gar schlimmer zu werden, scheint mir der Kopf geradezu zu explodieren.

Das Grauen nimmt seinen Lauf, ich kann einfach nicht mehr, will nicht mehr, will diese Schmerzen nicht mehr ertragen müssen. Ich schlage einfach meinen Schädel gegen die Wand. Ja, das werde ich tun. Ich bin sicher, dass ich damit nicht mehr Kaputt machen werde, als es ohnehin schon ist, solange ich nur diesen Krampf in meinem Gehirn endlich los werden könnte.

Da ist eine Wand. Eine stumpfe Wand ohne irgend welche rauhen stellen, an denen ich mich aufspiessen könnte muss es dann schon sein, so viel Anforderung stelle ich an mein Marterinstrument dann schon. Aber das ist nun auch kein Problem mehr und wahrscheinlich würde ich das sogar geniessen, solange es mir nur Abwechslung verschafft, solange es mir nur ablenkung von meinen Qualen verschafft oder mich gleich Bewusstlos werden lässt damit ich davon am besten gar nichts mehr mitbekomme. Das wäre wohl ohnehin das Beste.

Ich schlage, und gleich noch einmal. Ja, das ist es. Ein bischen hilft es, ich spuere es ganz deutlich, spuere wie der eine Schmerz etwas von dem anderen betäubt wird. Nur ist der neue Schmerz bloss oberflächlich, ist kaum vergleichbar und vor allem ist bekämpfbar und sei es bloss damit, dass mir eine schöne Frau ein heile-heile-Küsschen auf diese Stelle verpasst.

Noch einmal schlage ich zu, noch einmal muss die Wand meinen Stoss aushalten den ich ihr verpasse, den ich auch bei meinem Kopf in Verformungsenergie umwandeln möchte. Noch einmal will ich das Schicksal herausfordern und den Satan mit dem Belzebub austreiben. Welcher von beiden wohl der schlimmere ist interessiert mich in diesem Moment äusserst wenig.

Was ist das?

Mein Blick ist schief geworden. Die Welt scheint sich gedreht zu haben. Hatte ich vielleicht zu fest geschlagen und meine augen spielten mir schon den ersten Streich des Ausfalles? Wuerde ich gleich gar blind werden? Wuerde mich die Funktionstüchtigkeit meines Gehirns gar im Stich lassen?

Vorsichtig griff ich nach meinen Augen, wollte überpruefen ob ich überhaupt noch etwas sehe, ob auch beide gleich in die gleiche Richtung schauten. Etwas anderes hielt ich jedoch dann in der Hand.

Als ich meine Augen erreicht hatte und gerade anfangen wollte zu reiben, da verrutschte der Anblick der Welt noch ein weiteres Stückchen. Ich sah nun meine Hände auf zwei Arten, einmal durch einen kleinen Schlitz, der sich am linken, unteren Rand des normalen Sichtfensters gebildet hatte und einmal gant normal wie ich es gewohnt war, eben nur nicht da, wo ich es bisher immer gewohnt war.

Wieder griff ich nach meinen augen und dieses mal hielt ich etwas wie eine Brille in der Hand, die ich mir auch gleich vom Kopf zog.

Was ich sah liess mich doch sehr erschauern.

Die Brille war sehr ergonomisch geformt und würde sich meinem Kopf und meinen Augen direkt anpassen, wenn ich sie wieder aufsetzte. Sie würde sogar so dicht anliegen, dass ich sie nicht bemerken würde. Es sei denn natürlich, ich würde mir diese Stelle gegen etwas hartes schlagen. Pech für die Brille.

Dennoch schien sie noch zu funktionieren, wie ich feststellen musste, denn sie zeigte das normale Sichtfeld, wie ich es gewohnt war, folgte dabei sogar unabhängig von seiner eigenen Position der Bewegung meines Kopfes, der Bewegung meines Körpers. Es war genau wie früher mit einem Head-Up-Display bei modernen 3D-Spielen. Nur irgendwie wesentlich beängstigender und realistischer.

Es war sogar noch viel beängstigender, wie ich sehr schnell feststellen musste als ich meinen Kopf von der Betrachtung der neu entdeckten Brille erhob und mir die Umgebung anschaute. Nicht nur, dass ich offensichtlich Handschuhe trug, die sich ebenso wie die Brille meinem Körper zu hunder Prozent angepasst hatten, sondern auch einen ganzkörper-Gummianzug, der aus dem gleichen Material war. Offensichlich eine Art Sensorenanzug, in Anbetracht der existenz der Brille.

Jedoch die Stadt, wie sie sich nun präsentierte war irgendwie noch sehr viel beunruhigender, wie sie sich mir nun präsentierte. Da war der Kiosk, an dem ich eben noch gestanden hatte. Nun, es gab keine Zeitungen, und auch der Verkäufer war nicht da. Nun, zumindest war kein menschlicher Verkäufer anwesend, sondern nur ein Roboter, der stur programmiert seinem Programm folgte und Personen bediente, die wie pantomime mit unsichtbaren Gegenständen hantierten und ihm imaginäres Geld in die Hände drückten. Nun, wahrscheinlich hatte ich eben noch genau das gleiche getan wenn ich bedenke, dass ich nun keine Zeitung mehr bei mir trage.

Aber es ging noch viel weiter. All die Gebäude um mich herum schienen mir doch sehr heruntergekommen zu sein. Auch wenn ich eben noch Hochhäuser, Wolkenkratzer und Bauwerke von schier atemberaubender Schönheit gesehen hatte so gab es nun nur noch halb verfallene, kleine Häuser im Vorstadt-stil, jedoch mit einer hochmodernen, metallenen Eingangstuer, die bei näherer Betrachtung ein Fahrstuhl war, der in die Tiefe führte. Ich konnte nur erahnen, was es damit auf sich hatte und mein passendster Gedanke war wohl, dass all das wie ich es kannte, dass all die hohen Häuser wie ich sie gesehen hatte, bloss illusion, bloss simulation gewesen waren, und dass sich das Leben, wie ich es bisher kannte, allenfalls unterirdisch abspielte, wo die Räume in denen auch ich arbeitete in den Boden gegraben worden waren.

Es war wirklich grausam, wie heruntergekommen es hier oben aussah, und vor allem, dass es allen vollkommen egal zu sein schien. Warum auch nicht, schliesslich wussten sie ja auch nichts davon, wie es hier wirklich aussieht.

Seitdem ignoriere ich einfach meine Kopfschmerzen.

"Hat die Welt eben 50Hz..." und setze sie mir wieder auf.