1001 Worte überdas Wohl und Wehe der Schwarzpulvererfindung
Einst waren es die Chinesen, die es eher zufällig entdeckten. Sie verwendeten es am Kaiserpalast zur Erfindung ihrer Legendären Feuerwekskörper. Nicht im Traum kam es ihnen in den Sinn, diese Erfindung als Waffe zu benutzen und damit den Krieg zu banalisieren - zu anonymisieren. Doch eins nach dem anderen.
Als die Mächte des alten Europa dann China und Japan auf der Magellanstrasse neu entdeckten, entdeckten sie auch bald diesen Stoff aus dem die Explosionen gemacht waren und verschleppten das Wissen um diesen in ihre Heimat. Dort erkannte man das Potential dieser drei grundpülverchen und hatte schon bald erste Kanonen, um damit seine Gegner gleich Reihenweise niederzumähen. In miniaturisierter Form wurden daraus Präzisionsgewehre und Handfeuerwaffen, mit denen man seinem Gegner nicht einmal mehr in die augen zu schauen brauchte, wenn man ihn aus mehreren Kilometern Entfernung eliminierte oder auch nur seinem Nachbarn in den Rücken schoss weil dieser falsch geparkt hatte. Immer ausgeklügelter wurde die Nutzung explosiver Stoffe und immer präziser die erreichte, exotherme reaktion. Allerdings hatte der Gegner meist wenig später ähnlich wirkungsvolle Waffen zur Hand und die Rüstungsspirale nahm immer stärkere Gestalten an.
So lange, bis die endgültige Waffe entwickelt wurde, die Atombombe. Für eine Zeit war Ruhe, war doch die Explosion ein erschreckendes und vor Augen führendes Bild für die endlichkeit menschlichen Seins. Doch natürlich nur so lange, wie dieses Bild auch in wacher Erinnerung geblieben war. Die Forschung ging unterdessen immer weiter, verfeinerte die banale Waffe Atombombe zu einem Kunstwerk moderner Hochtechnologie die solche Wortgebilde hervorbrachte wie 'Sichere Atomsprengköpfe'. Heute hat diese Waffen ein grosser Teil der wirtschaftlich mächtigen Nationen unserer Welt und kaum eine hat seit ihren ersten zwei Einsätzen auch nur daran gedacht, diese tatsächlich einzusetzen, waren sie als weiter existierende Bedrohung doch ein viel zu wirkungsvolles Stilmittel der Aussen- und Sicherheitspolitik. Doch das Wissen um die Bedrohung der eigenen Existenz durch einen, selbst zur Verteidigung ausgeführten, Atomschlag scheint zunehmend verloren zu gehen, scheint die verheerende Wirkung dieser Waffe zu verharmlosen. Und mehr noch.
War früher Krieg nicht nur ein Akt der Aggression, sondern vor allem eine Auseinandersetzung die auf dem Feld der Ehre ausgetragen wurde, welches seinen Namen tatsächlich noch verdiente, so wurde durch den nun möglichen Abstand der Kontrahenten zueinander das ganze derart anonymisiert und zum Videospiel hochstilisiert in dem man nur noch einen Befehl abzusetzen braucht damit irgend etwas geschieht ohne sich mit der damit einhergehenden Realität befassen zu müssen. Als die Chinesen mit Schwarzpulver spielten waren ihre Kriege noch genau dies, eine Auseinandersetzung der Ehre. Wenn sich zwei Armeen gegenüberstanden, so zählten die Lehren von Sun Tzu noch etwas und die Geschichte der sich selbst tötenden Armee zur Gegnerabschreckung funktionierte im wahrsten Sinne des Wortes. Man wusste noch, was es bedeutet seinem Gegner gegenüber zu stehen, wusste was es bedeutete ein Leben zu nehmen und kannte die Konsequenzen. In Zeiten früherer hochkulturen ging dies sogar so weit, dass der Sieger eines Zweikampfes für die Familie des Unterlegenen verantwortlich wurde und sie bei sich aufzunehmen hatte. In heutigen Glaubenskriegen vollkommen undenkbar.
Doch wäre diese Gewaltspirale überhaupt aufzuhalten gewesen? Wohl kaum. Irgend wann ist es einfach an der Zeit für die eine oder andere Erfindung. Wenn sie ihrer Zeit zu sehr voraus ist, dann geht sie unter, wenn sie tatsächlich an der Zeit oder gar überfällig ist, so wird sie oftmals gleich von mehreren, unabhängigen Erfindern erlangt, deren Kampf sich dann auf dem Feld der Patente austrägt, über dessen Ausgang oftmals nur Stunden entscheiden. Wenn es nicht die Chinesen getan hätten, hätte es irgendjemand anderes getan, und ob sich die Geschichte dann so entwickelt hätte wie sie es getan hat weiss man auch nicht - es hätte alles ja noch viel schlimmer kommen können.
Durch die waffentechnische Überlegenheit ist seinerzeit China zu westlichen Kolonien verkommen und die Musketenbewährten Armeen mähten die Shogun reihenweise in rekordzeit und nie dagewesener Gewaltschauspiele nieder. Diese Überlegenheit spielte sich zur Entdeckung Amerikas mit den Indianern noch einmal ab, die Krieg genau so verstanden wie es die Chinesen zuvor getan hatten - und genau wie diese verloren haben. Doch in dieser Zeitlinie hat das Schwarzpulver seinen Weg in alle Regionen des alten Europa gefunden, nicht nur zu einer einzelnen Nation, sondern gleich zu allen. Hätte nun jedoch ein einzelner Fürst diesen strategischen Vorteil gehabt, so hätte er den westlichen Kontinent mit seinem Krieg überzogen und unter sich zu vereinen versucht, das chinesische Grossreich hätte weiter Bestand gehabt und vielleicht sogar von der Waffentechnologie der Europäer partizipieren können um sich notfalls selbst zur Wehr setzen zu können. Die Zeit wäre vollkommen anders verlaufen.
Macht es das aber besser? Wohl kaum. Nach wie vor besteht die moralische Verpflichtung der Verhinderung jeglichen Krieges, jeglicher tötung von Menschen. Das Überleben vieler durch die Opferung von weniger Menschen zu erreichen ist nicht weniger fragwürdig, bestenfalls pragmatisch, wahrscheinlich logisch.
Wohin uns diese morallosigkeiten treiben werden dürfte jedem klar sein, der die Kriegsgeschichte aufmerksam verfolgt hat. Wenn es eine neue Technologie zur Kriegsführung gegeben hat, so wurde sie auch eingesetzt. Wenn es eine Möglichkeit gab, dass irgend etwas noch schöner und noch grösser BUMM macht als zuvor, dann wird diese auch genutzt werden. Wenn es eine Chance gibt, einen Vorteil vor dem Gegner oder vor irgend jemandem zu erlangen, dann wird diese auch ergriffen. Das Leben vieler ist da weit weniger wichtig als der strategische oder auch nur wirtschaftliche Vorteil Weniger.
Der Krieg ist von einer Frage der Ehre, über eine Erforschung des BUMM-Effekts zu einer kapitalistischen Transaktion verkommen. So gesehen könnte man durchaus nachvollziehen, wenn es Menschen gibt, die jeglichen technischen Fortschritt nicht nur anzweifeln sondern vollständig ablehnen und weiter in Technik und Moral des Mittelalters leben möchten.