1001 Worte....

... zur konservativ negativistischen Entscheidungsfindung

Ein Lehrer hat einmal auf der Schule zu uns gesagt, dass wir unsere Kurse nicht negativ wählen sollten. Er meinte damit, dass wir nicht in die Kurse gehen sollten, die wir am wenigten nicht können, also die nach einem Streichen aller ungeliebtesten Kurse übrig bleiben, sondern uns aussuchen, was uns liegt beziehungsweise noch einigermassen liegt. Ein Leitsatz den ich ebenso wenig vergass wie den 'dass'-Satz

"Dass das das daß ist, das mit 'ß' geschrieben wird, das haette ich nicht gedacht." enthaelt alle grammatikalisch moeglichen ss und sz Schreibweisen.

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Vielleicht ist es ein Ausdruck unserer Zeit, dass wir alles ersteinmal negativ betrachten, von allem die schlechte Seite sehen oder sehen wollen und deshalb unsere Entscheidungsfindung daraufhin anpassen, dass wir uns nicht sonderlich umzustellen brauchen. Vielleicht ist es auch ein Ausdruck wissenschaftlicher Bildung oder Ausbildung, vielleicht des allgemeinen Bildungsstandes, des Elternhauses oder des Umfeldes. All das macht es aber nicht besser, dass ein Phänomen um sich greift, wie es vor allem in konservativen Kreisen üblich ist, nämlich das eine zu tun, weil man das andere eben nicht machen möchte, die eine Partei zu wählen, weil man die andere verachtet. Aber ist dies wirklich ein Entscheidungsprozess, der zu einer Diskussion oberhalb von Stammtischniveau gereicht? Kann man mit einer so getroffenen Entscheidung überhaupt argumentieren?

Sherlock-Holmes hat es sich zum wissenschaftlichen Leitsatz erhoben, dass, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschlossen worden sind, die übrig bleibende, sei sie auch noch so unwahrscheinlich, die einzig richtige Lösung sein muss. Dies könnte als Begründung für die Legitimität einer solchen Entscheidung angeführt werden. Allerdings wird dabei nicht genau auf den präzise gewählten Wortlaut Sir Arthur Conan-Doyle's geachtet. Es heisst nämlich 'alle' anderen Möglichkeiten. In einem Gespräch mit beispielsweise einem Stammtisch wird dies sehr schnell deutlich, dass viele dieser anderen Möglichkeite einfach ausgeblendet, verlacht oder als grundsätzlich indiskutabel betrachtet wurden und erst gar nicht in betracht gezogen wurden, geschweige denn ernsthaft überdacht und hinterfragt, man stattdessen lieber eine Lösung bevorzugt hat, die die meisten anderen auch gewählt haben und die deshalb ja sicherlich schon richtig sein wird.

Alles hinterfragen, nichts einfach so hinnehmen, bei jedem auch das 'warum' beachten. Dies sind Punkte, die die denkende Kaste der Wissenschaftler assimiliert hat. Ohne ständiges hinterfragen und falsifizieren würden wir heute sicherlich noch um das Feuer tanzen und in den Wald kacken. Dass in konservativ-politischen Kreisen irgend etwas hinterfragt oder falsifiziert worden wäre, wäre mir neu. Was mir jedoch nicht neu ist, ist, dass derartige Parteien dennoch gewählt werden. Gut, dass werden rechtsradikale- oder christlich-fundamentalistische Parteien auch, allerdings interessanter weise mit der gleichen begründung. 'Willst du etwa die anderen wählen?' In anderen Ländern, in denen es tatsächlich nur zwei Parteien gibt, wäre dieses Argument wohl angebracht. In einem Land jedoch, in dem der Grundsatz nunmal demokratie heisst und dessen Wahlzettel jedes mal mit weit über einem dutzend Wahlmöglichkeiten gefüllt ist, stimmt es perfide, sich nur zwischen zweien entscheiden müssen zu wollen.

'Bei denen ist es doch so schlecht, die bauen doch nur misst!' kommt ebenfalls oftmals als Argument. Vielleicht sollte man zur prinzipiellen entkräftung dieser allgemeinen Aussage etwas ausholen und erklären, wie dieser Staat, diese Demokratie in der wir leben eigentlich funktioniert. Da gibt es zwar den Bundestag, den man mit seiner Stimme alle vier Jahre gewählt hat und mit der man ebenfalls den Kanzler als Kandidaten der entsprechen Siegerfraktion gewählt hat, es gibt allerdings auch den Bundesrat, der sich aus den Ministerpräsidenten der einzelnen Länder zusammensetzt, die ebenfalls alle vier bis fünf

Hessen hat per Volksentscheid diese Frist auf fuenf Jahre verlaengert

Jahre gewählt werden. Der Wähler entscheidet sich interessanterweise zumeist azyklisch für die eine oder andere Partei, womit fast schon sichergestellt ist, dass die eine Seite im Bundestag, die andere Seite jedoch im Bundesrat die Mehrheit inne hat. Die meisten Beschlüsse, die die Regierung jedoch im Bundestag mit ihrer Kanzlermehrheit durchbringen kann, wird dann allzu oft im Bundesrat, der als demokratisches Sicherungsinstrument - was sicherlich nicht der falscheste Weg ist um einen neuen AH zu vermeiden - viele Entscheidungen und Gesetzesvorlagen abzeichnen und akzeptieren muss bevor sie in Kraft treten können, blockiert. Es steht also nicht nur in der Verantwortung derjenigen Partei, die die Regierung gestellt hat, auf welchem Weg es weiter geht, sondern auch in der Verantworung der Gegenseite, diesen Weg zumindest zu dulden, damit es überhaupt weitergehen kann. So ist der Grundsatz unserer Demokratie. Den Staat zu führen ist per Grundgesetzt die Sache aller gewählter Parteien, nicht nur der einen, die die Wahl gewonnen hat - sonst wäre es keine demokratie sondern eher eine diktatur einer Minderheit wie in Teilen Nordamerikas, in denen die eine hälfte der Wähler in den nächsten vier Jahren faktisch nicht mehr vertreten werden.

Bedenkt man also, dass es nicht zwangsweise die aktuelle Regierung ist, die alles schlecht gemacht hat, sondern möglicherweise auch die andere Seite ist, die wichtige Entscheidungen durch ihr Veto im Bunderat blockiert hat, so hat man das einzige 'Argument' des konservativen Gegenüber zur hälfte entkräftet. Bedenkt man dann noch, dass die meisten Prozesse in Wirtschaft und Politik, Haushaltsführung und Nachbarschaftsverhältnis in der Welt langfristige Prozesse sind die zu allem überfluss Regierungsübergreifend von den gleichen Leuten oder Beratungsunternehmen berechnet werden, so hat man nicht nur die angeführte Begründung zur Wahl in Luft aufgelöst, sondern auch die Phantasie seines gegnerischen Gesprächspartners überfordert.

Klar, wer nur Bild-Zeitung liesst und es als allgemeinbildend betrachtet, abends eine viertelstunde Nachrichten im ersten zu schauen, die in den letzten Jahren auch noch zum grossteil mit Sport und Lottozahlen vollgemüllt worden sind, für den reicht es auch sich bei der Stimmabgabe am Wahltag allerhöchstens die zwanzig Sekunden, die er in der Wahlkabine verbringt, eine Entscheidung zu überlegen und so auf die Versprechungen und Werbespots zu höhren, die er womöglich kurz zuvor erst im Fernsehen gesehen hat. Gemeint sind hier platte Sprüche auf dem Niveau von 'Jo, schwarz ist gut.'

CDU, 1998

und ähnlich Sinnfreiem 'Für ein besseres Deutschland'

CDU 2002

-Slogans, die ohne überfordernde Argumente oder gar Versprechungen, die man im Falle eines Wahlsiege womöglich erfüllen müsste, daher kommen. Eine konservative Partei braucht eben keine Begründung, warum man das eine oder das andere macht, man macht eben einfach. Dass man dafür dann nicht einmal sein eigenes Parteiprogramm lesen oder gar grob kennen muss ist genauso klar, wie dass man den wähler gar nicht erst daran erinnern möchte, dass man ja vor wenigen Jahren est selbst unter Beweis gestellt hatte, dass man als Regierungspartei eine ähnlich schlechte Figur macht. 'Das war ja was völlig anderes!' ist dann ebenfalls ein beliebtes Argument, weil damals ja sowieso alles viel besser war. Und beim Adolf wär das sowieso nicht passiert...

Wie hiess es so schön in Fahrenhei451? 'Ich weiss es nicht und ich will es auch gar nicht wissen.' Ein Satz, den ich durchaus schon öfters gehört habe.