"Dann tragen sie doch gleich unter wietere Mailempfänger die NSA ein!" So ein Kommentar eines Buendnisgruenen zu dem Beharren der CDU/CSU, die unbedingt "ihr" Windows auf allen Bundestagscomputern haben wollten. Damit hat er zu allem Überfluss nicht einmal unrecht. Aber eins nach dem anderen.
Die Bundestagsverwaltung sah sich gezwungen die Betriebsysteme einem Update zu unterziehen, da der Support für jenes, was sie in Benutzung hatten, ausgelaufen war. Da der Hersteller obendrein noch die Lizenzbedingungen auch für Firmenkunden geändert hatte, schätzten sie sich schon einmal glücklich, dass sie ohne völlig horrende Mehrkosten dennoch auf die neueste Version des Systemes upgraden durften und nicht den zwischenschritt über die, ein halbes Jahr zuvor erschienene, professionelle Version machen mussten. Aber auch der Entscheidungsspielraum für dieses Upgrade hat der Hersteller zeitlich begrenzt und so wird es langsam eng mit der Abstimmung zu diesem Thema. Denn da die CDU/CSU nicht mehr alle Stimmgewalt im Bundestag inne hat, bestand die Möglichkeit für einen Umschwung im Sinne des jüngeren Wählers. Und der wuenschte sich nun einmal eine Abkehr von dem Übel, dem praktisch alle jeden Morgen begegnen, wenn sie den Rechner einschalten und auf den Monitor schauen - Windows.
Die Alternative heisst Linux. Zumindest dieser Tage. Natürlich gibt es genau genommen noch einige andere Systeme, die die genannten Aufgaben ebenfalls und in praktisch der gleichen Geschwindigkeit erledigen könnten, wie beispielsweise Netware, OS/2, QNX oder auch nur ein anderes Unix-Derivat wie SCO, Solaris oder ein BSD
Berkeley Software Distribution, gemeint ist FreeBSD oder OpenBSD. Teile von diesen finden sich in praktisch allen anderen Betriebssystemen wieder, wie der TCPIP-Stack
, doch Linux ist dieser Tage natürlich weit populärer als alle anderen zusammen. Was man jedoch vor allem wollte war eine Abkehr von dem Monopolisten, der in seinem Heimatland gerade ein Anti-Trust-Verfahren erfährt, hin zu einem offenen System, das man zur Not auch selbst weiterentwickeln könnte.
Tatsächlich gibt es dann auch mehrere Möglichkeiten zur Auswahl, von monokultur des Einen über mischung Beider bis hin zu monokultur des Anderen. Genommen wurde zum Schluss dann jedoch tatsächlich eine Mischversion, bei der alle Server unter Linux und alle Workstations unter WindowsXP laufen sollen. Ironischerweise kam am gleichen Tag wieder einmal eine Horrormeldung zu einer Sicherheitslücke in eben diesem WindowsXP, die auch von einer guten Firewall nicht so leicht zu unterdrücken ist und die Entscheidung gleich wieder in Frage stellt. Was aber vor allem beunruhigen sollte ist, dass Microsoft diese Sicherheitslücke seit über einem Jahr bekannt war, sie aber weder etwas dagegen getan haben noch sie veröffentlich haben. Nicht, dass sie dies nicht schon immer so gemacht hätten und dass nicht sowieso jede Woche mindestens zwei neue Sicherheitslücken in relevanten Systemen des Windows-Systems aufgedeckt werden würden, aber in diesem Fall ist es eben keine neue Lücke, sondern eine, die man schon längst hätte schliessen müssen und angeblich ja auch hat schliessen wollen, wenn man der neuen, offiziellen Microsoftstrategie hätte glauben duerfen. Nach dieser hat man sich nämlich zwei Monate anfang des Jahres Zeit nehmen wollen, um alle Sicherheitslücken und Bugs in jeder Microsoft-Software zu schliessen. War wohl doch nichts mit der Vertrauenswürdigkeit dieser Firma in Sachen Betriebsystemsicherheit.
Aber die Entscheidung ist nunmal gefallen. Dass gerade im Bundestag eher auf Sicherheit geachtet werden sollte als auf einfache Administrierbarkeit auch für Anfänger oder gar Softwareverfügbarkeit im Office und Standardanwendungsbereich, in denen es für wirklich jedes Betriebssystem mindestens eine ausgezeichnete Lösung gibt, scheint den Verantwortlichen dabei recht gleichgueltig zu sein. Auch, dass gerade die Sicherheit bei Microsoft nicht gerade gross geschrieben wird ist hinlänglich bekannt. Dass dieses System zudem sehr mitteilungsfreudig ist geht ebenfalls fast schon täglich durch die Newsticker. Es ermöglicht durch seine "Offenheit" die Ausbreitung jeglicher Art von Virus, so dumm er auch programmiert sein mag, teilt Microsoft mit, welche Filme man sich angesehen und welche Web-Seiten man sich angeschaut hat, hängt an Office-Dokumente oftmals den gesamten Inhalt der Zwischenablage an, die zudem mit einer eindeutigen Kennung des Benutzerrechners - nämlich der MAC-Addresse der Netzwerkkarte - enthält, macht Änderungen an Dokumenten sogar Benutzerweise nachvollziehbar und hebelt sogar die Verschluesselungsmechanismen von e-Mails aus, indem bei Mails einfach die unverschlüsselte Version noch einmal angehängt wird - was man zu allem Überfluss nicht einmal durch den verfügbaren Fix oder das offizielle Workaround abstellen kann. Und das sind nur die Dinge, die das System einfach so macht ohne nachzufragen und ohne, dass sich der Benutzer einer Schuld bewusst sein könnte. Wenn man sich natürlich ins gefährliche Internet wagt und zudem noch gefährliche Seiten besucht ist alles vorbei und der Rechner nicht nur Virenverseucht, sondern auch für Zugriffe von Aussen Sperrangelweit offen. Es können ohne nachfragen Viren und Trojaner installiert werden, die sogar die völlige Übernahme des Desktops von aussen ermöglichen, oder ganz einfach nur vertrauliche Daten verschicken könnten.
Diese Gefahren bestehen nach wie vor, da Linux nur auf den Servern laufen wird, man aber nicht alles erdenkliche von einem Server aus absichern kann. Aber zumindest laufen keine wirklich relevanten Systeme mehr unter dem "offenen" System, denn die interne Mailverarbeitung und Filterung, den Internetzugang und dessen Filterung sowie Verzeichnis und Datenbankdienste werden genauso ausschliesslich von den Linux-Servern übernommen wie die Verschluesselung und die Dokumentzwischenspeicherung und dessen Benutzerzuordnung. Natürlich kann man durch einen unbedarften Windows-Benutzer, der sein geheimes Passwort nicht gerade geheim hält, oder auch durch ein anderweitig geknacktes Windows-System innerhalb des Bundestags-Netzwerkes diese Sicherheit wieder ein wenig aushebeln, aber zumindest funktionieren nun die Grundlegenden Systeme so, wie sie es tun sollten, und zwar ohne workarounds oder nicht funktionierende Fixpacks.
Zudem ist im Servicevertrag mit dem Systemlieferanten nun auch jegliches Systemupdate enthalten, für das man bei Microsoft gleich eine neue Betriebsystemversion kaufen müsste wenn die Herrschaften mal wieder meinen, dass sie den Support für ein altes Produkt auslaufen lassen wollen um die Konsumenten zum Neukauf zu zwingen. Bei Linux kostet das eigentliche System nämlich gar nichts. Vielmehr kauft man beim Bundestag nur das, was man sowieso kaufen würde, den Supportvertrag. Eine neue Version einzuspielen ist damit eine Aufgabe dieses Supporters, der für das eigentliche Produkt kein Geld verlangen darf, da dieses unter einer Lizenz steht, die genau das verbietet. Linux ist ein Produkt von Privatleuten, die damit kein Geld verdienen und sich verbitten, dass jemand anderes mit dem Verkauf anderer Leute Leistung Geld verdient, das ihnen ja dann zustehen würde. Wenn also eine neue Version oder neue Treiber herauskommen, so bezahlt man dafür allenfalls die Downloadzeit.
Was bei all dem Verwirrspiel immer wieder auffällt sind die Argumente derer, die immer wieder zurück zum Microsoft-Produkt wollen, die ihr geliebtes HeimWindows auf jedem Rechner der öffentlichen Verwaltung sehen wollen. Als hätten sie am heimischen Schreibtisch nichts dazugelernt oder zumindest noch nie nachgerechnet, was alleine der täglich immer wiederkehrende Neustart nach Absturz an Arbeitszeit kostet. Aber die oeffentliche Hand hats anscheinend ja. Aber ganz abgesehen vom Geld, wird bei den Lobbyisten so offensichtlich mit zweierlei Mass gemessen, dass einem schlecht werden könnte. Denn was letztlich den Ausschlag zu Windows auf dem Desktop gab, war die Verfügbarkeit von viel Software sowie die implementation von Copy'nPaste allerorten. Dass allerdings auf einem Arbeitsrechnet des Bundestages ohnehin nur ein einziges Office - nämlich in diesem Fall entweder Microsoft Office oder eben Staroffice für Linux - laufen würde scheint dabei nicht wirklich relevant zu sein. Genauso wie die Tatsache, dass es unter Linux durchaus diese Mechanismen das Ausschneidens und Einfügens gibt, nur eben unter einer anderen Tastenbelegung, aber nicht einmal diese tatsächlich gebraucht würde, da ohnehin nur innerhalb des jeweiligen Offices gearbeitet werden müsste, Staroffice diese Mechanismen jedoch wesentlich vielseitiger Implementiert hat als MSOffice, das nicht einmal in der Lage ist, korrekten XML-Code zu erzeugen, der frei von irgendwelchen Spionagedingen sein könnte.
Ein weiteres Argument für eine Umrüstung war nämlich die Wiederverwendbarkeit auch älterer Dokumente. Man wollte sicherstellen, dass man die Verfassung in einem Format abspeichert, das man auch in zehn Jahren ändern könnte, wenn man es müsste. Das ist mit Microsoft-Programmen aber sicherlich nicht möglich, die sich offenbar nicht einmal untereinander verstehen wenn man erst einmal aufgerüstet hat. RTF kann man hingegen immernoch bearbeiten, PDF immernoch und überall lesen. Desweiteren bezahlt man einmal mehr an Microsoft und sieht es als natürlich an für ein neues Produkt bezahlen zu müssen, bloss weil das alte offiziell eingestellt wurde, auch wenn es dies noch sehr lange Zeit zur vollsten Zufriedenheit getan hätte. Bei Linux stellt man indes in Frage, ob die Weiterentwicklung überhaupt gesichert ist und ob es überhaupt Updates geben wird, obwohl in diesem Fall der Support von IBM kommen würde, die nicht gerade dafür bekannt sind, dass sie für irgend ein Produkt weniger als fünfzehn Jahre Support und Updategarantie leisten würden - selbst für OS/2 gibt es nach wie vor jedes Jahr eine neue Version als Upgrade, das man mit Supportvertrag ebenfalls kostenlos geliefert bekommt, wohingegen ein Windows kaum fünf Jahre lebt und dann eingestellt wird, nach zwei Jahren, wenn die Nachfolgeversion auf dem Markt ist, jedoch schon nicht mehr gefixt wird. Oder hat es jemals für ein Windows ein Fixpack mit einer zweistelligen Nummer gegeben? Warp3 ist nach acht Jahren und sage und schreibe zweiundvierzig Fixpacks als outdated ausgelaufen, Warp4 trotz offiziellem Upgrade hat noch einmal ein sechzehntes Fixpack abbekommen, CP1/eCS ist bei Fixpack nummer zwei - und die hatten es alle weitaus weniger nötig als ein einziges Windows, für die es alle zusammen genummen nichteinmal sechzehn Fixpacks gibt, nur dass sie hier als neues Betriebssystem verkauft werden. Desweiteren sind die Microsoft-Produkte nicht gerade für ihre Stabilität bekannt, auch ihr Office ist nicht gerade das schnellste oder gar Bedienungsfreundlichste. Wenn man alleine die Zeit einrechnet, die man mit dem Neustart der Anwendung verschwendet bloss weil man eine Option anwenden wollte, die man besser nicht hätte benutzen sollen wird klar, warum die Wirtschaft am Boden liegt und Arbeitszeit ungenutzt brach liegen bleibt.
Dann waren da noch die Gutachten, und offenen Briefe. Scheinbar haben die Gutachter lange nach einer Möglichkeit gesucht, wie die wirklich relevanten Punkte an einem Betriebsystem für den Bundestag, die höchste und wichtigste Regierungsstelle unseres Landes, als unscheinbar in der Menge zu beachtender Dinge erscheinen zu lassen, denn einige dieser sehen für Windows viele Vorzüge vor einem Betriebssystem, das nicht von einem Monopolisten aus einem anderen Staat stammt. Oder war es doch wieder ein Anruf eines Herrn G.W.B.? Denn die sehr einseitigen Fähigkeiten der vorherrschenden Administratoren-Crew wurde dabei ebenso eingerechnet wie die Lauffähigkeit möglichst vieler Anwendungen, welche auch immer das sein mögen - Moorhuhn muss natürlich ausführbar bleiben; ist das eigentlich für Bueroarbeit notwendig? Sogar die offenen Briefe wurden wohl nur mit einem Auge gelesen. Da gab es also den Brief eines Informatik-Ing. der sich fragte, warum es darueber überhaupt eine Diskussion geben würde, dass man selbstverständlich Windows nehmen müsste. Seine Meinung wurde als unabhängig bezeichnet, weil er mit seiner Firma in diesem Gewerbe Geld verdient und dies ja auch immerhin studiert hat, also eine ganze Menge davon verstehen sollte. Vergessen wurde dabei allerdings, dass seine Firma nur einen einzigen Kunden hat, nämlich Microsoft, und dass er auch nur mit einem einzigen Produkt dieses Geld verdient, nämlich mit Support für Windows und Windows-Produkte. Das wurde bei der ganzen Diskussion um die offenen Briefe dieses Mannes immer beiseite gelassen.
Aber wer sich an alte Zeiten erinnern möchte kann natürlich immernoch als zweiten Mailempfänger die NSA per Hand eintragen.