… und dann kam die KI …
(Von Ingmar Hensler)
Wenn man bedenkt, welchen Wert wir heute Kultur als solcher zugestehen, dann sollte man sich tiefergehende Gedanken über den kulturellen Konsum der Zukunft machen.
Gerade lese ich die Schlagzeile, dass die KI in 100 Jahren besser sei als der Mensch - was die Schaffung von Musik angehe. Ich persönlich halte das für einen viel zu langen Zeitraum.
Bereits vor 10 Jahren wurde Unternehmen führend durch KI, die Artikel über Sportereignisse geschrieben haben - ausschließlich automatisch durch den Computer generiert. Dabei waren diese Texte durchaus lesenswert, enthielten abwechslungsreiche Formulierungen und rückblickende Informationen über die Historie der Vereine oder vorhergehende Spiele. Damit waren faktisch alle Sportredakteure innerhalb kürzester Zeit arbeitslos, denn die KI war nicht nur billiger, sondern sogar auch noch besser als ihre menschlichen Konkurrenten.
Dass Wetterberichte kaum mehr menschliches Zutun enthalten liegt wohl eher in der Natur der Generierung dieser Vorhersagen und die Sendezeit dafür ist wohl nur noch der Gewohnheit geschuldet - bis auch diese endgültig von einer App abgelöst wird.
Vor wenigen Jahren konnte eine KI das Drehbuch zu einem Film schreiben, der zwar konfus war, aber eben so gut aus einem studentisch-künstlerischen Projekt entsprungen sein konnte. Letztes Jahr schrieb eine KI ein Musikstück im Stile von Bach, Hamlet hat eine Fortsetzung erhalten und die junge Leia wird in ihrem Auftreten bei Rogue-One wohl auch nicht selbst vertreten gewesen sein, war sie doch immerhin besser anzuschauen als das jugendliche Pendant von Jeff Bridges in Tron 2 - nebenbei ein schönes Beispiel für technischen Fortschritt.
Während dessen prangert die Presse die Gefahr durch Deep-Fakes an, also speziell für die Ersetzung von Gesichtern und Stimmen trainierte KIs, die Oscar-Schauspielerinnen in Pornofilme transferieren oder Präsidenten unangemessene Sätze in den Mund legen können. Etwas, worüber Gollum nur müde lächeln würde.
Dieser Einsatz von sogenannten künstlichen Intelligenzen zieht sich durch sämtliche Bereiche der technischen Anwendbarkeit. So steckt heute in jedem Foto-Handy mehr Intelligenz als im kompletten damaligen Mondprogramm der Nasa, vermag in Echtzeit dem Portraitierten die Pickel von der Haut zu entfernen und die Augenfarbe zu ersetzen, andere Kleidung anzuziehen und den Hintergrund zu ersetzen, störende Gegenstände zu entfernen und auch fotografische Effekte wie Schärfentiefenänderungen vorzunehmen.
Eingedenk, dass ich mit meinem Telefon ein besseres Firmamentfoto habe machen können als mit meiner DSLM zeigt, dass hier Grenzen von “Können” verschwimmen, die ganz neue Fragen aufkommen lassen.
Extrapolieren wir also einfach mal. Heute nehmen wir schöne Fotos wahr. Wir sehen Gegenden, träumen uns dort hinein, stellen uns vor da zu sein und die Situation zu genießen. Wir sehen Situationen, Leute, Dinge, Sehnsüchte werden geweckt. Ist es wichtig, ob diese Bilder gemalt, fotografiert oder komplett synthetisch generiert wurden?
Aber natürlich ist das nur die Bildwahrnehmung, wie sie durch die sozialen Medien trainiert wurde.
Wie sieht es in der echteren Kunst aus? Wann hat ein Bild, ein Gemälde, ein Foto, ein Werk einen künstlerischen Wert? Reicht es, wenn es “schön” aussieht? Wenn es technisch perfekt ist? Oder eben nicht perfekt? Was bedeutet hier tatsächlich Kunst?
Man stelle sich eine Galerie voll mit Bildern vor, die allesamt außerordentlich, aber alle vollständig synthetisch sind. Welchen Wert würden wir diesen zumessen?
Und wie sieht es in der Musik aus? Sind Hörbücher mehr als nur gesprochenes Buch? Ist es das Ereignis des Lauschens beziehungsweise gespielt Werdens, welches eine Komposition zu einem Kunstwerk macht? Und was, wenn sogar bei genau diesem gespielt werden die menschliche Beteiligung getilgt wird? Würden wir uns in einen Konzertsaal setzen, um rein mechanische Vorrichtungen bei der Tonerzeugung zuzuschauen? Bei so manchem DJ machen wir dies ja im Grunde ebenso, denn bei vielen geht die menschliche Leistung kaum über das Austauschen des Tonträgers hinaus, ist also eher marginal.
Der Blick auf die Leistungsfähigkeit von KI-Systemen in 100 Jahren zeugt hierbei durchaus von der Arroganz, die sich die Medienschaffenden in den letzten 100 Jahren angewöhnt haben, nämlich dass nur Sie Werke erschaffen dürften und die Konsumenten diese nur konsumieren und bezahlen dürfen.
Die Annahme, dass mein Telefon in 100 Jahren technisch in der Lage sein dürfte, eine KI zu beherbergen, der ich ein Kommando wie “spiele neue Musik im Stil von Wagner” geben kann ist in Anbetracht der Fähigkeiten heutiger, rudimentärer Lernautomaten, die meinen bevorzugten Musikstil erkennen und mir Ähnliches vorschlagen, nicht von der Hand zu weisen.
Wieso nur erkennen und nicht direkt selbst erzeugen? Dass es geht, ist bereits bewiesen.
Womit wir wieder bei der Wahrnehmung von Kunst als solcher wären. Denn welche Art von Wert messen wir diesen generierten “Meisterwerken” dann noch zu? Wieso soll ich Geld für das Werk eines Menschen bezahlen, wenn mein eigenes Telefon mich damit kostenlos den gesamten Tag berieseln kann. Hat das Werk des Menschen denn noch Mehrwert? Ist es tatsächlich mehr wert als ein in jeder Hinsicht besseres Werk einer Maschine?
Diese Fragen lassen sich bereits heute in jedem Bereich des medialen Konsums stellen. Ist ein Zeichentrick-Film per se ein schlechteres, filmisches Werk als ein Actionfilm, in dem faktisch jede Explosion, jedes daher fliegende Auto, zusammenbrechende Häuser oder Flugzeuge vollständig aus dem Computer stammen, also ohnehin nicht mehr echt sind? Ist es relevant, wie viel in einem Film überhaupt echt ist? War es das jemals, wenn wir einen Sci-Fi-Film geschaut haben? Musste eine echte Leonov eine echte Discovery abschleppen, damit eine echte Kamera dies filmen konnte? Und die Flugzeuge, die durch Metropolis flogen?
Wir lassen uns seit jeher als Konsumenten von Medien berieseln, nehmen die Dinge einfach hin und erfreuen uns an unterhaltsamen Geschichten ebenso sehr wie an übertriebenen Effekten und Explosionen, eben weil sie in unserer Realität im Allgemeinen nicht vorkommen. Welchen Unterschied macht da der Grad der Echtheit? Wie klein ist da doch der Schritt, auch das Drehbuch nicht von einem Menschen schreiben, die Schauspieler durch generierte Figuren zu ersetzen? Änderte dies am Grad unserer Berieselung etwas? Änderte dies unsere Wertschätzung für ein solches Werk, die der breite Konsum durch alle nur technisch möglichen Kanäle auf ein Minimum reduziert hat?
Was bleibt ist entweder die absolute Konsumberieselung mit auf uns zugeschnittenen Medieninhalten bis zu einem Punkt der möglicherweise eintretenden Selbstreflexion. Die Hoffnung, dass wir uns irgendwann einmal fragen werden, welchen Sinn das Betrachten von solchen mehr oder auch weniger synthetischen Inhalten eigentlich macht. Was gibt es uns, wenn wir ein Bild eines Sees, eines Sonnenuntergangs, einer Party, eines Vogels anschauen?
Welchen Wert hat etwas Derartiges überhaupt für einen Dritten?
Wenn ich ein Foto mache, verbinde ich damit einen Zeitpunkt, ein Erlebnis, ein Gefühl. Ein unabhängiger betrachtet hat diese Assoziation nicht, ihm fehlt diese Emotion zu diesem Bild und damit ein Teil der Wertschätzung, die ich als Urheber dort hineingesteckt habe. Wenn man mich als Fotografierer wegstreicht, was bleibt dann noch? Streicht man den See, den Sonnenuntergang auch noch weg und generiert die Pixel künstlich zum selben Bild, ist das dann für den Betrachter von ähnlichem Wert?
Die Hoffnung, dass viele dieser Dinge an Wert verlieren werden, begründet sich dann letzten Endes dadurch, dass die Erkenntnis folgt, dass man wieder vor die Tür geht. Anstelle des Betrachtens eines Sonnenuntergangs auf dem Bildschirm einfach mal die Tür aufgemacht und rausgegangen, sich den echten Sonnenuntergang angeschaut - ist auch mal ganz schön und gibt es täglich kostenlos.