1001 Worte

Was kümmert die Garnele das Universum?

 

(Von Ingmar Hensler)

 

Ein schlauer Mensch postulierte einmal, die Lichtgeschwindigkeit sei die maximale Ausbreitungsgeschwindigkeit im Universum. Dies ist eine durchaus gefestigte Theorie. Sie hat ihre bereits erkannten Schwächen, aber bisher hat sich niemand gefunden, der irgendetwas Besseres hätte vorlegen können. Doch ist dies wirklich vollständig?

Treten wir einmal einen Schritt zurück auf der Suche nach der universellen Formel der Vereinigung der Elementarkräfte, die in einer einzigen Formel zusammenfassen soll, was bisher in vier Kräften aufgeteilt ist. Denn ist das wirklich vollständig? War es das denn schon?

Wir können eigentlich von Glück reden, dass wir so groß sind, womit tatsächlich die Körpergröße gemeint ist. Denn der Blick nach unten offenbart bereits eine ganz andere Welt, der Mikrokosmos zu unseren Füßen hat schon ganz andere Gesetze, nach denen gelebt wird. Hier sehen wir ganz offenbar, dass deren Welt offenkundig nicht vollständig sein kann, denn wir wissen es ja bereits besser.

Nehmen wir beispielsweise ein kriechendes Insekt. Seine Bewegungen, seine Art der Fortbewegung ist weit weniger von der Schwerkraft bestimmt als die unsere, wohingegen unsere Bewegungsmuster rein gar nicht von elektromagnetischen Feldern oder der Oberflächenspannung beeinflusst werden. Über das Wasser zu laufen wie ein Wasserläufer, die Wand emporzukrabbeln wie ein Käfer, zu fliegen wie eine Hummel, das hat mit unserer alltäglichen Erfahrungswelt unserer eigenen Fortbewegung nicht sehr viel zu tun. Andersherum ist ein Sturz aus dem Fenster, ein Regentropfen, ein umfallender Baum, ein vorbeifahrendes Auto für ein solch kleines Lebewesen ein völlig anderes Bedrohungsszenario wie für uns. In deren Welt spielt der Elektromagnetismus eine derart große Rolle, dass ein Ameisenwissenschaftler wohl niemals die Gravitation entdeckt hätte und wegen anderer Hintergründe wohl auch keine der Kernkräfte.

Unsere Welt ist in ihrer Nicht-Perfektion zum Hinterfragen gemacht. Unsere Welt ist klein und im Wesentlichen zweieinhalbdimensional, leben wir doch auf der Oberfläche einer Kugel - plus minus einiger hundert Meter. Wir sind in Wahrnehmung und körperlicher Fähigkeiten so beschränkt, dass wir uns dank unserer Denkfähigkeit Hilfsmittel erfinden müssen, um zumindest einigermaßen zu den Tieren aufzuschließen.

Dabei sind wir wohl nicht die einzigen intelligenten Lebewesen auf diesem Planeten. Die Delphine werden gemeinhin ähnlich eingeschätzt und Erkenntnisse über andere Tiere lassen unseren arroganten Abstand zu uns untergeordneten Gattungen zur Definitionsfrage verkommen. Doch was kann ein Fisch mit seinem Gehirn schon anfangen - auf lange Sicht?

Ein Fisch wird wohl kaum elektrischen Strom erforschen. Starkstrom im Wasser probiert er auch bloß ein einziges Mal. Seine Welt ist tatsächlich dreidimensional, ist weit weniger nach oben oder unten beschränkt als die unsere. Dennoch ist sie natürlich beschränkt, die Notwendigkeit diese Grenzen zu überschreiten jedoch geringer - ebenso wie die Möglichkeiten. Ein Meeresbewohner wird vor allem erst einmal seine Umwelt zu beherrschen versuchen. Er wird das verwenden, was er vorfindet und Werkzeuge so benutzen, wie es seine Umwelt ermöglicht. Einen Hammer zu schwingen wird der Widerstand des Wassers erschweren, Eisen zu schmelzen wird ohne heißes Feuer ebenfalls außerordentlich knifflig. Die Gesetze der Welt oberhalb des eigenen Lebensraums zu erforschen fiel uns bereits derart schwer, dass wir unserer Kugel nach wie vor nur in Ausnahmefällen entkommen, die Anstrengung exorbitant in jeder Hinsicht bleibt.

So wie wir es bisher nicht geschafft haben, unserem Sonnensystem zu entkommen, nicht nur die Grenze unserer Biosphäre zu überwinden sondern die dahinterliegende Hürde ebenfalls zu nehmen, so gleichgültig wird der Garnele der Weltraum sein. Sie weiß nicht einmal, dass es eine Welt außerhalb der ihren gibt, geschweige denn, eine Welt dahinter. Ihre Wahrnehmung setzt ihre Grenzen.

Ein zweidimensionales Lebewesen würde seine Welt vollkommen flach wahrnehmen. Setzte man es auf eine Kugel, wäre es verwirrt, käme es doch in jeder Richtung immer wieder zu seinem Ausgangspunkt zurück. Wie es einen Torus als Lebensraum wahrnähme, überlasse ich dem Interessierten. Denn gerade in diesem Grenzbereich wird es interessant, denn hier ergeben sich einige Analogien zu unserer Welt. Setzen wir es auf einen Luftballon und blasen diesen weiter auf, so haben wir eine zweidimensionale Repräsentation unserer vierdimensionalen Wahrnehmung des expandierenden Universums. Stellen wir auf eine Tischfläche seines Lebensraums einen Sandsack, so würde es wohl nicht nach oben schauen können, sondern würde eine runde Beschneidung seiner Ebene erfahren, die sich zudem - der Sandsack läuft beim Abstellen etwas auseinander - immer weiter ausbreitet. Gibt es in unserer Welt da ebenfalls ein ähnliches Abbild? Und was, wenn wir ein Loch in die Platte seiner Welt bohren? Die Platte leicht nach innen biegen? Für uns ist es nur ein Loch, durch das wir den Boden darunter, vielleicht noch den Teppich, darüber die Lampe und die Decke sehen können, doch was wäre dies für unser zweidimensionales Wesen? Es hätte keine Sinne, um über seinen Erfahrungshorizont hinaus zu schauen, die weiteren Dimensionen blieben ihm verborgen - bloß die Zeit tickte für es ebenfalls.

Vielleicht werden wir also trotz allem technischen Aufwand niemals in der Lage sein, uns über den Horizont unserer eigenen Beschränktheit hinaus zu bewegen, werden stets von den Dimensionen unserer Wahrnehmung eingesperrt sein. Womöglich lebten Wesen einer höheren Raumdimension direkt neben uns, nehmen uns gerade so als insektoide Schatten in ihrer Welt wahr die nicht weiter stören, weil wir mit ihnen ohnehin nicht interagieren können.

Doch was wenn doch? Bisher sind die einzigen Grenzen unserer technologischen Vorstellungskraft die Gesetze, die wir aus der Natur herauszulesen in der Lage waren. All diese Grenzen, all diese Naturgesetze basieren auf einer Welt mit drei Raumdimensionen. Die Existenz einiger weiterer Dimensionen machte fürwahr völlig neue Gesetze vonnöten. Mit neuen Naturgesetzen kommen auch neue Möglichkeiten. Vielleicht sind schwarze Löcher doch nicht so schwarz, gibt es gar kein Informationsparadoxon. Vielleicht können wir den Raum auch ohne exotische Materie krümmen, um schneller von einem Punkt zum anderen zu reisen. Vielleicht ist die Nullpunktenergie ja tatsächlich ein Anfang bei dieser Suche.

Oder wir sterben einfach dumm auf der Oberfläche dieser Kugel.