Virtuell?

Wieder einmal streife ich durch die Reihen der Spielautomaten in meiner Stammspielhalle. Wieder einmal beginne ich mich darüber zu wundern, dass ich mich lieber mit meinem angestammten Automaten zu begnügen beginne, als mich mit irgend einem tumben Prügelspiel zu widmen, das ich noch nicht bis zum erbrechen auswendig kenne, das ich nicht im Schlaf durchspielen könnte. Aber was solls. Wenn ich schon Geld dafür ausgebe, dann möchte ich auch möglichst lange unterhalten werden, möchte möglichst viel für mein Geld geboten bekommen, möglichst lange davon abgehalten werden, noch mehr Geld in diesen Automaten zu werfen, noch mehr Geld auf diese Art durchzubringen.

Fast schon stehe ich vor ihm. Tausendmal habe ich es schon gespielt, dieses nette, bunte spielchen mit dem Robot mit dem netten Namen. Oscar nennt er sich, aber so frech ist er gar nicht, gehorcht meinen fast schon ebenso mechanisch gewordenen Joystickbewegungen, bis ich ihn ans Ziel gebracht habe, bis zum Ende des Spiels, wo man sich dann kaputt gehen lässt, um mit seinen angesammelten Bonusleben noch möglichst viele Punkte einzusacken und in der High-Score verewigt zu werden.

In Gedanken bin ich schon fast wieder dabei, mich dort einzutragen obwohl ich nichtmal vor dem Bildschirm sitze, da fällt mir eine Veränderung meiner Spähren auf. Irgend was ist anders, und mir fällt auch gleich auf, was das ist. Da steht doch tatsächlich ein neuer Automat in meinem Blickfeld und besitzt die dreistigkeit, sich nicht zu melden dass er da ist. Das muss ich doch gleich mal überpüfen.

Sehr edel sieht er ja schon aus, fast wie einer dieser möchtegern VR-Spielchen wie Afterburner oder so. Aber irgendwie abgeschirmter. Und beeindruckend schwarz, fast wie ein Sarg steht er da und nichteinmal mit einer Produktbeschreibung oder einem Firmenlogo, wie man es gewohnt ist. Aber was solls, ein Testspielchen werd ich wohl mal wagen.

Vorsichtig setze ich mich rein, versuche mich in der dunklen Zelle zurecht zu finden, meinen Kopf nirgends anzustossen. Kaum habe ich platz genommen, meine Extremitäten verstaut, da gleitet auch schon die Tür mit einem hydraulisch klingenden Geräusch zu. Schon beeindruckend, was die heutzutage manchmal an Special Effekts bieten. So, jetzt könnte langsam mal ein Bildschirm erscheinen.

Schlagartig bläst sich eine Art Airbag um mich auf, drückt mir eine Atemmaske aufs Gesicht. Langsam bekomme ich es ein wenig mit der Angst zu tun. Endlich kann ich aber wieder etwas erkennen. Es wird heller und ich sehe mich auf einer Waldlichtung um, stehe auf einer freien Wiese in einem eingemalten Kreis. Eben war mir noch, als würde ich Reste von blauen Energieblitzen um mich herum sehen können, aber daran verschwende ich kaum mehr einen Gedanken, dafür ist diese Welt einfach zu perfekt gemacht.

Ich suche die ganze Zeit nach Texturübergängen oder Renderbugs, aber kann absolut nichts finden, sogar die Naturgesetze scheinen hier alle zu gelten, so weit ich das überprüfen kann. In der ferne über den Baumwipfeln kann ich Rauch gen Himmel steigen sehen und beschliesse vorerst einmal darauf zu zu gehen, da ich sonst keine Anzeichen von Zivilisation entdecken kann.

Gerade war ich am Waldrand angekommen, hatte schon die ersten Baumstämme im Rücken und drehe mich noch einmal um um mir die Stelle an der ich angekommen bin noch einmal aus der Entfernung anzuschauen, da sehe ich wie sich aus der anderen Richtung ein paar merkwürdig gekleidete Männchen nähern. Fast wie kleine, graue Wissenschaftler mit ihren Raumanzügen und Tricordern in den langfingrigen Händen sehen sie aus, als sie meine Landestelle begutachten und sich nervös umschauen, scheinbar nach mir suchen. Immer nervöser werden sie kollektiv und wuseln dann gemeinsam zurück woher sie gekommen waren. Nur verschwinden sie nicht im Wald, sondern lösen sich schon weit davor einfach in Luft auf.

Bisher hielt ich das ganze ja für ein Adventure, auch wenn ich keine Waffen in der Art von Schwert oder Keule finden konnte, aber die Ausserirdischen passen irgendwie nicht ganz hier rein. Aber was solls denke ich mir und gehe erst einmal weiter auf die Feuerstelle zu. Vielleicht sollte ich vorsichtiger sein und nicht so viel Krach machen, man weiss ja nie, ob man nicht auf irgendwelche Banditen trifft.

Aber es ist schon zu spät. Zwar kann ich den schein des Lagerfeuers erst weit entfernt erahnen, aber das hält sie scheinbar nicht davon ab mich an den brechenden Zweigen unter meinen Grosstadtfüssen zu bemerken und auch gleich in Empfang zu nehmen.

Der erste ist etwas unvorsichtig und will mir 'nur' direkt den Kopf abtrennen. Mit einem langen Hieb schwingt er sein Schwert in meine Richtung - und verfehlt mich. Wenn ich im heimischen Underground etwas gelernt habe, dann den Kopf einzuziehen. Schnell bin ich wieder oben und gebe ihm einen Tritt, dass er mit dem Schädel gegen einen Baum fliegt und nehme ihm sein Schwert ab. Wenigstens dieses Handycap hätte ich überwunden denke ich noch, bevor ich endgültig umzingelt von acht oder neun nun doch sehr fantasyromanmässigen Banditengesichtern bin. Gut, dass das alles nur ein Spiel ist, sonst hätte ich jetzt wohl wirklich ein Problem oder würde mir einfach nur in die Hosen scheissen. Ok, nehm ich mir ein Herz und prügel drauflos wie ichs bei Mortal Combat gelernt habe.

Ich warte auf den ersten Angreifer der auf mich losstürmt und als ich ihm mit zwei schnellen Schlägen erst die Waffe aus den Händen und dann den Ober vom Unterkörper trenne kommen mir wieder einmal zwei Gedanken zu diesem Spiel. Entweder hatte ich genau die richtige Waffe für mich gefunden, oder aber der Schwierigkeitsgrad war ein bischen zu niedrig eingestellt worden. Aber viel zu denken bleibt mir keine Zeit und während der nächste auf mich zustürmt und ich feststelle, dass ich hier in dem tiefen Wald eigentlich viel zu wenig sehe um diesen Kampf wirklich zu überleben renne ich auch schon los in die Richtung aus der ich glaube gekommen zu sein.

Noch immer höre ich sie direkt hinter mir als ich wieder auf der Lichtung ankomme. Die kleinen Grauen sind nirgends zu sehen, aber dafür die Barbaren an meiner Ferse. Ich stelle mich wieder in meinen Kreis, in dem ich mich irgendwie sicherer fühle als so auf freiem Feld oder gar im Wald, und warte auf meine Mitstreiter. Vielleicht habe ich ja auch glück und der Game-Timer läuft ab und holt mich hier wieder raus bevor die mich abschlachten können, dann hab ich wenigstens die Ausrede nicht verloren zu haben. Aber zur Not würde ich ja auch lügen können.

Sie stellen sich um mich und machen böse Gesichter. Sie haben irgendwie etwas von Wildscheinen mit aufrechtem Gang. Die runden Nasen mit den zwei Löchern in der abgeflachten Spitze, die breiten Mäuler die die Reisszähne seitlich blitzen lassen und die Beine die mehr nach Hufen aussehen als nach menschlichen Fortbewegungsorganen. Allerdings sind sie bekleidet als wenn sie ihr Herrchen gerade angezogen hätte. Westen und Gürtel für Schwerter und Geldbeutel, manche auf mit umgehängten Taschen. Wahrscheinlich tragen sie ihre Beute immer mit sich herum. Dieser Kampf wird eine gute Ausbeute geben, wenn ich die Leichen erst einmal gefleddert habe.

Der erste stürmt wieder auf mich zu, als hätte er vorhin nicht richtig aufgepasst macht er offensichtlich den gleichen Fehler wie sein Vorgänger. Ich bereite mich schon seelisch darauf vor gleich wieder Blut spritzen zu lassen und umklammere mein Schwert ein bischen fester, mache die Klinge zu einem Teil meines Armes, zu einer Verlangerung meines Hasses auf den Feind.

AARRGGHH!!!

Ein stechender Schmerz in meinem Rücken. Was ist das. Ich drehe mich um. Einer war von hinten gekommen und hatte mich getroffen. Verdammt, nicht nur getroffen. Ich kann sogar die Spitze noch aus meiner Brust ragen sehen. Oh Gott, tut das weh. Für ne Simulation haben die das wirklich bin bischen übertrieben mit dem Realismus. Und die Schweine stehen um mich herum und freuen sich mich gekillt zu haben. Na wartet Jungs. Euch geb ichs wenn ich wieder komme...... !!!

Wie fast jeden Tag gehe ich in meine angestammte Spielhölle. Nur ein paar Stunden würde ich brauchen um an meinem Lieblingsautomaten meinen High-Score abermals zu erringen. Wirklich ein Jammer, dass die Kisten nachts ausgeschaltet werden, sich die Scores nicht merken. Aber dann käme wohl niemals jemand mehr in die Liste, die ich dann mit schier endlosen Punktzahlen belegt hätte, wie ich es fast täglich zu tun pflege.

Ich sitze vor dem Bildschirm, greife nach dem Stick und will gerade schon die erste Münze einwerfen, da sehe ich im Augenwinkel einen neuen Automaten stehen. Wär ich doch bloss nicht so neugierig. Na gut. Das Spiel ist ersteinmal aufgeschoben, und aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Warte hier so lange, bis ich dich besiege, Automat.

Mit schnellen Schritten gehe ich auf den neuen zu, der in seiner schwarzen Makellosigkeit mich geradezu anschreit mit ihm zu spielen, bevor es ein anderer tut. Den Gefallen kann ich ihm machen. Ich greife in den Schlitz, der wohl der Öffner sein soll und steige ein. Ein merkwürdiges Gefühl, so von allen Seiten festgehalten zu werden, und dann dieser merkwürdige Staub auf dem Boden, als wär hier schon jemand drin gewesen und hat sich den Sand aus den Schuhen geschüttet. Aber wenigstens kann man gut atmen - solange es keinen Stromausfall gibt.

Ah, der welcomescreen. Sieht nach wirklich tollem vr aus, diese Umgebung. Wirklich verdammt nah an der Realität. Wenn ich nicht genau wüsste, dass ich in einem Automaten sitze würde ich sagen... ich sitz in einem Automaten. Sogar meinen eigenen Körper kann ich sehen, und das total echt und scharf, und sogar Berührungen spüre ich. Toll.

Ich drehe mich um. Für ein Fantasy-Spiel eine gute Einleitung, die erste Leiche direkt hinter mich zu legen. Erstmal umdrehen und schauen wers ist, vielleicht ja der Kerl, der sich hier die Schuhe ausgeklopft hat. Na warte, dem geb ichs nochmal.

Oh Gott, den kenn ich doch ... das ........ NEIN!!!!!!!................