Gedankenspieler

"E2-E4 soll ich spielen? Na gut."

Eigentlich ist es weder fair noch einfach, was ich hier mache, aber was solls, immerhin bekomme ich Geld dafuer.

"B1-C3? Auch gut. Hab ich auch schon oft gezogen." Langsam sollte ich dieses Spiel eigentlich von mir aus koennen. Aber auf diese Art ist es so schoen bequem, so schoen einfach, sogar das Gewinnen.

Viele Dinge habe ich ausprobiert, seit es mich erwischt hat. Keine Ahnung, warum und wie es ausgerechnet zu mir gekommen ist, diese Faehigkeit. Gewuenscht hab ich sie mir eigentlich nicht, aber abgelehnt haette ich sie auch nicht wenn ich gefragt worden waere. Die Moeglichkeiten hatte ich mir frueher schon einmal ueberlegt, was ich alles damit erreichen koennte wenn ich tatsaechlich Gedanken anderer lesen koennte.

Doch wenn man es dann tatsaechlich damit zu tun hat ist natuerlich ersteinmal alles anders. Nicht nur, dass man jetzt tatsaechlich all das tun kann, was man sich darunter vorgestellt hat, man hat auch die negativen Seiten dieses Vorzuges niemals in Betracht gezogen. Und die haben mich tatsaechlich damals eiskalt erwischt

"Ich weiss genau was du denkst!" grinse ich mein Gegenueber an. Dann mache ich seinen Zug - an meiner statt. Es ist exakt der Zug, ueber den er gerade nachgedacht hat, den er als groesste Bedrohung fuer sich gesehen hat. Dass ich tatsaechlich in seinem Kopf lesen kann wie in einem offenen Buch kann er natuerlich nicht wissen und auch fuer all die Zuschauer ist es bloss ein weiteres Zeichen meiner Grenzenlosen Überlegenheit. Nur gut, dass die Nummer Zwei niemals gegen einen Computerspieler antreten muss, da wuerde ich wirklich alt aussehen.

Nur gut, dass ich schnell gelernt hatte, meine eigenen Gedanken vor den anderen zu schuetzen, all den Mist, den die Menschen so den lieben langen Tag in den Aether der Gedankenwelt hinausblasen von mir abzuhalten und einfach zu ignorieren, als Grundrauschen abzutun. Die Isolation einzelner Gedanken, einzelner Menschen fiel mir dabei nichteinmal schwer, waren sie doch schon immer die lautesten Worte, die ich in dem gesamten Wust an Belanglosigkeiten belauscht hatte.

"C3 schlaegt E4. War es das, was du wolltest?"

Wieder schaue ich in die immer verzweifelter wirkenden Augen meines Gegners. Ich sollte zwischendurch vielleicht auch einmal einen Fehler einbauen, einen Zug, der nicht gar so optimal gegen seine Strategie laeuft wie er es aktuell befuerchtet, auch wenn ich dadurch verlieren koennte. Eine Meisterschaft, auch ein einzelnes Meisterschaftsspiel, besteht ja nicht aus bloss einer einzelnen Partie.

So dachte ich beim Pokern auch immer, deshalb war das mein erster Versuch gewesen as ich noch neu war im Gedankenlesegeschaeft. Aber dabei musste ich einfach noch viel zu viel selbst denken. Da haette ich auch einfach weiter zum Spass Frauen betoeren koennen, das war vergleichsweise einfacher. Allerdings hat das kein Geld eingebracht.

Kartenspiele sind im Grunde einfacher, von jedem zu begreifen. Allerdings musste ich dabei erst einmal die jeweiligen Spielregeln begreifen und auch danach handeln. Ich musste den Informationsvorteil, den ich durch die Kenntniss der Karten der Gegner hatte, auch nutzen lernen. Beim Pokern artete das in echte Arbeit aus, liess mich Karten zaehlen und Kombinationen auswendig lernen bis mir schwarz vor Augen geworden ist und ich lieber auf banalere Dinge umgestiegen bin wie Skat oder Huetchenspiele.

Skat ist wenigstens begrenzt auf drei Spieler, man weiss mit wem man spielt und was man gegen welche Hände auflegen muss, wie weit man gehen kann und mit wesentlich weniger Zaehlarbeit als beim Poker sogar, welche Karten im Pot sind. Allerdings dauerten mir dabei die Partien zu lange, dauerte es zu lange, bis ein zumindest ansehnlicher Betrag zusammengekommen war, auch wenn dieser dann zumindest hoeher war als beim Huetchenspiel.

Beim Huetchenspiel war es allerdings auch wesentlich leichter und vor allem schneller zu gewinnen, reduzierte den Leseaufwand auf eine Person und Lern- sowie Merkaufwand auf faktisch Null, Geld gab es sofort und wenn man zu oft gewonnen hat auch unmittelbar auf die Fresse. Das machte dieses Spiel fuer mich dann auch ersteinmal uninteressant.

Genau so witzlos emfand ich irgendann das Studium, bei dem ich es irgendwann aufgegeben hatte, tatsaechlich fuer Pruefungen zu lernen, die ohnehin muendlich abgehalten werden wuerden. Genau danach stellte ich mir dann mein Studium zusammen, waehlte ausschliesslich solche Faecher, die mit einem 'Gespraech' abgeschlossen wurden. Es war in faktisch allen diesen Pruefungen bis hin zum Diplom ein Leichtes, mir die Antworten aus den Koepfen der Pruefer zu holen, zumal es ja meist nicht nur einer war, der sich bei mir im Raum befand, sondern auch immer noch ein Protokollfuehrer, dessen Gehirn ebenfalls nicht abgeschaltet war und aehnlich Antworten zu produzieren pflegte wie der Professor hoechtselbst.

In der tat war es bloss ein einziger, ein Psychologieprofessor, der mir einmal vorwarf, dass ich Gedanken lesen konnte, der sich zu einer Sinnlosen Frage eine ebenso Sinnlose, falsche Antwort ausgedacht hatte, fest an diese geglaubt hatte und in dem Moment, in dem ich ihm gerade diese Antwort als die Meine lieferte, mich erkannt. Dies war der einzige Mensch in all den Jahren, der jemals aus eigenem Antrieb erkannte, wozu ich faehig war - und er jagte mir damit eine derartige Angst ein, dass ich mich einige Semester nicht mehr traute, mich zu irgend einer Pruefung oder auch nur Vorlesung anzumelden. Vollendet hatte ich mein Studium dann dennoch irgendwann, auch wenn es den Pruefern wohl etwas komisch vorkam, dass ich mich ueber mein s.c. nicht sonderlich freuen konnte und Begeisterungslos ihre Glueckwuensche entgegennahm. Meine Leistung war eben eher eine andere gewesen als jene, die sie benotet hatten.

Beim Zirkus als offizieller Gedankenleser machte ich dann eine kleine Weltreise, kam viel herum. Kam auch viel zu verschiedensten Frauen, die mir verstaenlicherweise zu Fuessen lagen. Immerhin konnte ich ihr jedes mal, wenn sie etwas von mir erwartete, exakt das bieten, was sie sich wuenschten. Es machte eine Zeit lang wirklich spass, wenn ich sie dann erst einmal im Bett hatte, sie so weit zu treiben dass es zumindest fuer sie ein Nacht voller Wonne und Erfuellung wurde. Was sollte ich auch anderes machen, empfand ich mich in dieser Situation doch eher als Dienstleister denn als virtuoser Lover vom Dienst. Es war meine Art damit umzugehen, dass ich sie ja im Grunde in diesem Moment ausnutzte, dass ich ihre eigenen Beduerfnisse nach Naehe und Verstaendniss gegen sie richtete. Wenn ich schon so handelte, dann sollten sie zumindest eine berauschende Nacht davon haben, eine Nacht an die sie noch lange denken koennen wuerden womoeglich ohne sich dabei masslos schlecht zu fuehlen, da sie ja zumindest eine Gegenleistung erhalten hatten und nicht nur als Abladstation verfluessigten Genmaterials gedient hatten.

Natuerlich hatte ich durchaus meinen Spass daran, ihre Koerper zu geniessen, konnte ich doch schon bei einem tieferen Blick in ihr Gesicht sehr genau ihr Selbstbewusstsein in Bezug auf ihren eigenen Koerper herauslesen, konnte ihre Aengste ueber koerperliche Defizite entziffern und auch erkennen, auf welche Koerperteile sie besonders stolz waren - wenn sie ihre Vorzuege nicht ohnehin direkt durch passende Kleidung zeigten. So kann ich nicht unbedingt behaupten, dass auch nur eine einzige unter ihnen gewesen waere die auch bloss eine einzige Stelle an ihrem Koerper gehabt haette, vor der ich mich haette wirklich ekeln muessen - dies wusste ich von vornherein zu vermeiden.

Doch auch dies wurde mir irgendwann sehr zu langweilig. Ich versuchte zwar noch, diesen Frauen als Mensch nahe zu kommen, verlor dann jedoch irgendwann das Interesse daran wenn ich erkannte, dass ich sie bereits geknackt hatte, ihnen nur noch anbieten muesste mit ihnen ins Bett zu gehen und eine positive Antwort erwarten koennte. Manchmal war dies gar der Moment, zu dem ich mich dann tatsaechlich hoeflich verabschiedete und mir ein anderes ziel an einem anderen Ort suchte, das mich mehr beschaeftigen wuerde. Es wurde auf die Dauer wahrhaft witzlos.

Die Stellung wird komplizierter, so auch seine Gedanken. Ich sollte mich mehr hierauf konzentrieren, anstatt mich in Erinnerungen zu verlieren. Was will er? Am Damenfluegel angreifen? Das erkenne ja sogar ich mit meinen bescheidenen Kenntnissen, dass das nichts werden kann. Auch der Bluff, den er mit seinem Springer vorzubereiten versucht, kann nur verpuffen. Im schlimmsten Fall tausche ich einfach alles und vernichte ihn im Endspiel mit einer Übermacht. Hey, ich kann ja fast schon Schach spielen.

Was ich wirklich konnte war nun einmal das Gedankenlesen. Was lag da naeher, als mich fuer genau diese Faehigkeit bezahlen zu lassen. Wen wuerde es wohl extrem interessieren, was sein Gegenueber denkt, wenn er mit ihm spricht? Die grossen Bosse aus der Wirtschaft natuerlich, wenn es um Firmenkaeufe und Gewerkschaftsverhandlungen ging. Dafuer gaben sie auch gerne ihr Geld, dafuer wurde ich so gut bezahlt, dass ich mich nach einem knappen Jahrzehnt zur Ruhe haette setzen koennen. Meinen Faehigkeit hatte sich nicht so weit herumgesprochen, dass ich Angst vor Entdeckung in meinem neuen Hobby haette haben muessen, aber weit genug, dass mein Auftauchen bei einer Verhandlung diese zum Abbruch bringen konnte und ich hinter durchsichtigen Spiegeln zuschauen musste, was das ganze nicht wirklich angenehm machte. Zu wissen, was der Gegner denkt ist offenbar nicht nur im Schach sehr wichtig - dem Spiel des Lebens.

"Matt in vier!" rufe ich in den Raum hinein. Meine Überlegenheit ist so offenkundig, dass sie sogar der Kommentator im Nebenraum als Dogma annimmt und sogleich beginnt, meine Aussage nachzuvollziehen. Mein Gegner ist so klein geworden, dass er gerade noch ueber die Tischkante schauen kann und sich kaum mehr traut, eine Figur ueberhaupt nur anzufassen. Eigentlich tut er mir ja schon sehr leid, immerhin kann er dieses Spiel wirklich und ich schmarotze eigentlich nur an seinen Faehigkeiten. Er hat dafuer jahrzehnte geschwitzt und geblutet und ich bin gerade einmal von einem Blitz erschlagen worden.

'Der Gewinner dieses Spieles wird gegen DeepBlue antreten, da koennen wir mal testen, wie schlau unsere Maschine wirklich ist.' hoerte ich eben einen der Zuschauer im Anzug mit dem Wettkampfmanagement fluestern. Ich hoerte sie nicht wirklich, jedoch konnte ich genau die Gedanken des Sprechers wahrnehmen. So offen fuer aeussere Einfluesse ist mein Hirn dann doch noch, dass ich das eine oder andere Nebenher mitbekomme.

"Ist schon ok, hast gewonnen." schlage ich meinem Gegenueber meinen Koenig um die Ohren. Unverstaendliches Augenaufreissen auf den Tribuenen. Es haetten tatsaechlich noch zwei zwingende Zuege gefehlt, dann haette ich den Sieg in der Tasche gehabt.

Ich steh auf und gehe in die Kabine. Um die Ecke kann ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen - gerade noch einmal gut gegangen.