Der Exzentriker

Ah, wieder ein guter Morgen. Man fühlt sich einfach viel besser, wenn sein neues Buch schon im Laden steht. Wochen, ja Monate der Entbehrungen liegen hinter mir, in denen ich mich - zu Recht - in meinen Schreibraum eingeschlossen habe. Was habe ich mir mein Gehirn zermartert, was habe ich an Papiermuell produziert mit jeder Seite, die nicht haargenau so geworden ist wie ich mir das vorgestellt hatte. Über jeder Zeile habe ich gebruetet, jedes Wort sollte genau so werden, wie es perfekt ist, sollte eine harmonie genau nach meinen Vorstellungen ergeben. Der Satzbau muss meinen idealen entsprechen, muss meinen Stil wiederspiegeln und auch meine persöhnlichkeit. Ich wollte meine Seele in jedem Komma, in jedem Punkt und in jedem Ausrufungszeichen genau so wiedererkennen können wie in jedem Fragezeichen das geblieben ist - bleiben sollte, musste.

Was ist es doch für ein wundervolles Gefühl endlich wieder in sein Lieblings-, sein Stammrestaurant zu gehen um zu abend zu essen und dabei nicht ständig im Hinterkopf halten zu müssen wie es auf der nächsten Seite weitergehen soll, wie meine Geschichte wohl enden wird und ob ich auch noch die richtigen Worte finden werde wenn ich wieder zu Hause bin. Eine sehr wichtige Massnahme war schon immer, dass ich nicht zu viele Gedanken an andere Dinge verschwenden muss. Ist es nicht ein viel zu grosser, gedanklicher Aufwand, wenn man die verborgenen Geometrien auf seinem Tisch auskundschaftet und ständig versuchen möchte aufzulösen, wo vermutlich nicht einmal eine Lösung existiert? Was wäre zum beispiel, wenn man den Bierdeckel unter dem Glas, das nicht zentriert darauf steht, in Richtung des Musters auf der Tischdecke drehen würde? Wuerde das Muster sich um die Masse des Deckels wie angepasst legen, wuerde das Glas mit seinem Fuss genau in das runde Logo der Biermarke passen und einen Abschluss bilden? Alles Fragen, die ich versuche von vornherein zu lösen, damit ich mich nicht während des essens langwierig, aber vor allem zeitverschwendend und Gedanken verschwendend damit beschäftigen werde.

So sitze ich auf meinem Stammplatz. Wie immer liegt die Tischdecke genau richtig, dass der Bierdeckel nicht nur genau in das Muster passt, sondern auch noch genau buendig liegt und ähnlich mit Tisch vor mir liegt. Das Glas passt ebenso in das Logo des Deckels und ich habe es auch schon bis zum Eichstrich abgetrunken. Der Tischfuss steht genau auf den Ecken der Bodenplatten, deren Linie bis zur Tür reicht und auch dort bündig mit dieser abschliessen. Wie immer ist alles perfekt und auch wenn ich mein Werk bereits vollbracht habe, mein Manuskript bereits beim Verleger abgesegnet abgesegnet ist und es auch schon im Laden nebenan liegt, so ist es doch zu einer Angewohnheit geworden, die ich auch jetzt noch, auch schon im Hinblick auf mein nächstes Mach-Werk, sobald mir die richtigen Ideen kommen.

Nun kann ich mein Abendessen bestellen, kann vielleicht auch einmal meine Gedanken an andere Dinge verschwenden als auf meine Arbeit. Aber wenigstens werde ich sie nicht an die Geometrien in meiner unmittelbaren Umgebung verschwenden müssen, die es mir auch schon unmöglich gemacht haben überhaupt etwas zu bestellen, mich übehaupt für etwas klaren Verstandes entscheiden zu können.

"Grüne Wiesen und pralle Brüste!?!"

"Jaa.?", antworte ich ihr interessiert mit einem Lächeln. Ich weiss genau was sie damit meint, weiss genau, wo dieser Satz steht und ich weiss auch genau, warum er da steht.

Sie war einfach unter meinen verträumten Blicken hereingestürzt, hatte sich vor mich gestellt und ehe ich sie recht wahrnehmen konnte, ehe ich aus meinen Gedanken zurückgekehrt war.

"Grüne Wiesen und pralle Brüste!!!"

"Jaaaaa." Ich beginne mich zu amüsieren. Sie sagt es so schön, so vorwurfsvoll, glaubt mich damit aus dem Konzept bringen zu können, ja glaubt sogar, etwas gefunden zu haben womit sie mich treffen konnte, wo sie eine Schwachstelle in meinem Werk entdeckt hatte. Aber das gibt es nicht.

Sie schaut mich wieder so böse an, will mich wohl mit ihren Blicken töten. Sie wird denken, dass ich unser gemeinsames Picknick in diesem Satz verarbeitet habe und dass mir zu ihr nichts anderes einfällt, als sie auf genau das zu reduzieren, was sie glaubte gelesen zu haben. Vielleicht war es sogar tatsächlich so gewesen, vielleicht hat mir dieser Satz aber auch einfach nur so gefallen wie ich ihn gelassen hatte. Manchmal sind die spontanen, aber überdachten Eingebungen eben doch die besten.

Ich lasse mich von ihrem Einspruch nicht sichtbar beeindrucken. Sie möchte mich am liebsten ankeifen, doch ihr fehlen sichtlich die Worte. Sie fühlt sich wirklich sehr verletzt in ihrer persöhnlichen Wuerde, fühlt ihr privatleben breitgetreten in einem neuen Bestseller. Dabei war all dies gar nicht so und ich bin mir zu Recht keiner Schuld bewusst, Papier ist eben geduldig, wesentlich geduldiger als manche Menschen, die nicht einmal auf eine kleine Erklärung warten können, auch wenn ich sie dazu garnicht geben möchte.

"Ist das alles, was dir dazu einfällt? Grüne Wiesen und pralle Brüste?"

Wieder so ein Angriff von ihr. Ich kann ein gewisses Amüsement nun nicht mehr verbergen, beginne sie anzugrinsen. Es ist nicht nur, dass sie hier auftaucht und die Furie spielt, was mich belustigt. Es ist vielmehr, dass sie wieder einmal nicht geschafft hat zu verstehen, was die Worte eigentlich bedeuten, was ich eigentlich sagen wollte. Sie wird immer zorniger, wohl auch in Anblick meines immer breiter werdenden Grinsens. Sie stemmt sich wieder auf, stösst sich ein bischen von meinem Tisch ab und steht wieder ganz vor mir, noch immer diesen wilden Blick, dieses Funkeln in den Augen.

Ich habe es kaum gesehen, so schnell ging es, so unberechenbar wie eine Frau nur sein kann hat sie all ihre Wut in einen gewaltigen Ausbruch ihrer Kräfte gepackt und mich zu Boden gestreckt.

Ich lache. Ich kann einfach nicht anders als zu lachen. Immer lauter, immer euforischer, auch wenn sie mich zu Boden gestossen hat, auch wenn sie den Tisch über mich ergossen hat, meine perfekte Ordnung die ich darauf hergestellt habe so barsch zerstört hat kann ich einfach nicht anders als zu lachen. Ich halte mich sogar noch an dem Tisch fest, als die Kellnerin kommt und versucht ihn von mir herunterzuheben.

Sie ist eine gute Freundin und sie wird wieder kommen. Es ist immer wieder schön zu wissen, dass sie auch mein neuestes Buch gelesen hat, aber das wichtigste dabei hat sie noch immer nicht verstanden, sieht nur, dass sie es furchtbar findet. Sie versteht nicht warum ich sie auslache. Aber ich habe sie erreicht, sei es auch nur mit diesem einen Satz.