1001 Worte - Die Elternschule

Doch, ihr hab gelernt Eltern zu sein!

Geht mir durch den Kopf als ich eine Mutter in einer Talkshow höre wie sie verzweifelt über dem Drogenkonsum ihres Sohnes zusammenbricht. Und immer wieder fällt der Satz über ihre verzweifelte Unfähigkeit sich in ihren Sohn einzufühlen:"Keiner von uns hat eben gelernt Eltern zu sein."

Und wieder muss ich bei jedem weiteren Argument, welches sie als Beweis ihrer These jedoch auch ihrer Interessenlosigkeit vorbringt, denken "DOCH!". Sie spricht darüber wie ihr Sohn zu den Drogen gekommen ist - wovon sie gar nichts mitbekommen hat - und davon, dass seine Leistungen in der Schule immer schlechter geworden, sein Interesse an anderen Aktivitäten gegen null gegangen sind. Auch hier zeigt sich abermals die Unfähigkeit dieser Frau zwischen Kausalitäten zu unterscheiden oder gar zu hinterfragen, warum ihr Sohn denn zu Drogen gegriffen hat anstelle über sein Problem zu reden. Sie fragt sich nicht, warum er nicht mehr vor die Tür will oder auch nur was denn zu erst war, der Drogenkonsum oder der Leistungsabfall. Hat er vielleicht erst zu Drogen gegriffen, als er aus irgend einem Grund nicht mehr mithalten konnte? Wurde er gemobbt? Völlig egal, denn das Problem sind natürlich nur die Drogen, die sie ihm natürlich völlig argumentfrei schlicht verbietet.

Und immer wieder ihr Satz als Ausdruck ihrer Hilflosigkeit:" Keiner von uns hat jemals gelernt, Eltern zu sein."

Hab ich was verpasst? Sind Eltern einfach so entstanden? Hat es plopp gemacht und sie waren da, haben sich reproduziert und wurden völlig unvorbereitet mit allen möglichen Problemen konfrontiert die mit der unvorhersehbaren Situation zu tun haben dass sie sich haben reproduzieren müssen? Wohl kaum, denn auch diese waren einmal klein, sind herangewachsen und haben die allermeisten Konfliktsituationen mit ihren Eltern die man sich vorstellen kann, ebenfalls bereits einmal durchlebt. Sie hatten damit zumindest einmal die Gelegenheit, sich über diese Situation mit dem nötigen Abstand des Alters Gedanken zu machen, zu analysieren und womöglich zu einem Ergebnis aus beiderseitiger Sicht zu kommen. Hat sich diese Mutter noch nie von ihren Eltern vernachlässigt, unverstanden, ungerecht behandelt, bevormundet oder gar eingesperrt gefühlt? Hat sie sich noch nie darüber Gedanken gemacht, wie dies denn gekommen sein könnte? Ist ihr in ihrem Leben nie irgendwann dann doch die Einsicht gekommen, warum ihre Eltern denn das eine oder andere gesagt oder getan hatten, ihr verboten oder aufgetragen haben?

Nicht bei rot über die Strasse gehen! Nicht zwischen Autos hervorspringen! Den Spinat aufessen damit es gutes Wetter gibt, denn die Neger in Afrika verhungern. Mach deinen Mittagsschlaf! Mach deine Hausaufgaben, den du lernst für das Leben und nicht für die Schule! Trink keinen Alkohol, rauche nicht! Und ein paar Jahre später sagen sie einem dann, die Bierflasche in der einen und die Zigarette in der anderen Hand vor der Sportschau liegend:" Drogen sind eine böse Sache, fang bloss nicht damit an!", obwohl sie schon seit dem Spinat ihre Glaubwürdigkeit aufgegeben haben. Wobei dies ein durchaus wesentlicher Punkt in dieser Betrachtung ist.

Spinat enthält viel Eisen, deshalb ist es gut für dich und deshalb musst du das jetzt essen! Warmer Kuchen ist ungesund für dich, deshalb darfst du erst nachher ein Stück essen! Eis und Cola machen Bauchschmerzen! Vom vielen Fernsehen kriegt man viereckige Augen! Und fragt man einmal nach einem 'Warum?' dann kommt ein Spruch wie 'Solange du deine Füsse.... Ende der Diskussion!'. Was will man von solchen Leuten schon erwarten, die selbst erwarten, dass ihre Anweisungen, die auf Irrtümern, Fehlern oder schlicht Lügen basieren, ohne Widerspruch befolgt werden, bloss weil sie älter, reicher, dümmer sind als ihre Kinder? Respekt hat man nicht einfach, man muss ihn sich verdienen. Dies gilt auch für Eltern, auch wenn sie erst einmal einen Respektvorschuss wegen ihrer chronischen Anwesenheit haben. Verspielen sie diesen jedoch haben sie ein Problem.

Diese Mutter berichtete immer wieder davon, wie sie auf ihren Sohn einredete um ihn davon zu überzeugen wie schlimm doch Drogen seien und dass er sich in der Schule anstrengen solle. Es wäre wohl das erste Kind einer Mutter gewesen, das auf derartige Empfehlungen gehört hätte, was er natürlich nicht getan hat. Warum sollte er auch, bekam er doch immer wieder dogmenhaft Pseudofakten dargelegt, welche seine Eltern schon lange vorher höchstselbst ad absurdum geführt hatten indem sie sich selbst den Versuchungen irgendwelcher Drogen hingegeben haben. Oder sind Nikotin, Kaffee und vor allem Alkohol etwa keine harten Drogen mehr? Bloss weil etwas legal ist heisst es noch lange nicht, dass es gut oder gar richtig ist und bloss weil etwas illegal ist ist es noch lange nicht die Wurzel allen Bösen - vielleicht auch bloss eine Auswirkung dessen. Der Junge hat gekifft. Mein Gott.

Zudem ist zu wissen, dass Kiffer im allgemeinen sehr genau wissen was sie da tun. Sie sind über Dosierung, Gebrauch, Nebenwirkungen und auch Alternativen und Wirkungsweisen sehr genau informiert, vor allem aber viel genauer als ihre dogmatisch desinteressierte Vorgängergeneration, die noch daran glaubt dass man Probleme mit Alkohol wegtrinken könne. Doch von solchen Eltern bekommt man dann gesagt, dass man sich seine Zukunft zerstöre, dass man in 'solche' Kreise absacken würde und keine Freunde mehr habe, vereinsamen würde und sich irgendwann totkiffen würde. Der 'Beweis', dass man ja immer dünner werde, ist natürlich auch schnell gefunden. Dass man aber wegen Appetitlosigkeit, die einfach bloss wegen des Rauchens, nicht aber des Drogenkonsums, auftritt, also auch bei normalem Zigarettenkonsum, dies wird gerne vergessen. Dass man sich medizinisch gar nicht an Tetrahydrocannabinol totrauchen kann straft Eltern ein weiteres mal Lügen, selbst wenn diese einmal mehr aus Unwissenheit heraus gebirt.

Dass sie selbst diese 'Drogenhölle' nicht mitgemacht hat möchte ich ihr nichtmal als schlecht ankreiden, viel eher aber die Tatsache dass sie vergessen hat, dass dies bloss eine Fluchtlösung der Konfliktbewältigung darstellt. Oder hat dies nicht jeder einmal gehabt, ein Problem mit seinen Eltern währenddessen er daheim ausziehen und bei Freunden oder im Baumhaus übernachten wollte? Gab es nie Streit der ohne Argumente auf Zuruf 'beendet' wurde weil es der Vater so angeordnet hat, ebenfalls angeordnet hat dass er recht hat obwohl er es nachweislich nicht war? Hat denn niemand Anweisungen der Eltern einmal hinterfragt, in Frage gestellt oder gar direkt falsifiziert?

Für ihren Sohn war es sicherlich kein Problem klüger zu sein als Sie und durch ihre Arroganz getrieben jeglichen Respekt vor ihr zu verlieren. Wenn man weiss, dass man mehr weiss, aber dennoch gesagt bekommt, aufgezwungen bekommt dass dies nicht so sei, dann bleibt nur noch die Flucht - vielleicht auch nur nach hinten. Denn im Original heisst nun einmal 'Nicht für das Leben, sondern für die Schule lernen wir!'. Wer nichts weiss muss alles glauben. Doch unsere Schulbildung hinterlässt uns in dieser Hinsicht schon nach wenigen Schuljahren auf ähnlichem Wissensstand wie unsere fast schon ungebildeten Eltern. Hier noch zu einer Respektsbeziehung zu den eigenen Kindern zu finden ist dabei jedoch nicht einmal schwierig.

Denn das, was man seinen Kindern immer voraus haben wird ist schlicht Zeit. Man hat Lebenserfahrung, hat sich schon viele Gedanken zu vielerlei Themen gemacht, viele Situationen durchlebt für die an einfach ein gewisses Alter hat haben müssen. Und natürlich hat man auch all die Konflikte mit seinen Eltern austragen müssen, die eine Generation nun einmal natürlicherweise mit der Vorgängergeneration haben muss wenn sie heranwächst. Für die einen war es das aufkommende Kino, das als Aufrührerisch und verderblich für die Jugend angesehen wurde, für die anderen war es das Radio und damit auch der RochnRoll, der sie die Kinogänger überflügeln liess, dann kam das Fernsehen und damit natürlich die MTV-Generation, der man nachsagte sich bald nur noch höchsten fünf Minuten - ein Musikvideo lang - konzentrieren zu können und das Leben in diesen Abschnitten zu erfahren und schliesslich das Internet oder das Handy, welches die Jungend nun wirklich endgültig und tatsächlich verdirbt und die Wurzeln allen Übels darstellen, ganz ehrlich! Ein neues Phänomen ist dies nicht, dies fing bereits zur Zeit Shakespeares an, als Romeo und Julia als Promiskuitätsfördernd und Inzestverharmlosend galt und lange Zeit unter Strafe verboten war, von Lady Chatterly oder der Geschichte der O oder all der Wissenschaftlichen Bücher zu mittelalterlich-christlichen Zeiten ganz zu schweigen oder auch die Bibel zu den Anfängen der Christenheit. Schon immer spielten sich gesellschaftliche Brüche zwischen den Generationen ab, bloss haben die wenigsten offenbar darüber nachgedacht und erst recht nicht davon gelernt.

Dabei könnte die Antwort für diese Mutter so einfach sein: Zuhören, erklären. Verbote mache Dinge nur interessanter. Hätte man das Christentum nicht verboten sondern Jesus einfach zu einem weiteren, römischen Gott erklärt, wer weiss schon ob es so weit hätte kommen müssen wie es heute ist. Mit Drogen ist es ähnlich, sie werden unkontrolliert, von schlechter Qualität, zu einem Untergrundphänomen. Legalisiert wird daraus zumindst keine materiell-biologische, gesundheitliche Gefahr und man kann realistisch und korrekt über sie aufklären. Und auch die Probleme die ihr Sohn hatte wurden vielleicht einfach nur lange genug aus Scham unterdrückt, wurden verschwiegen bis sie sich in seelischem Ungleichgewicht und einem Abfall der Leistungen wiederspiegelten, einen Ausbruch fanden, aus welchem er dann die Ausweglosigkeit in Richtung des Rausches gesucht und offenbar auch gefunden hatte. Natürlich ist dies nur eine Mutmassung, doch wenn ich davon höre, dass ein paar zwölfjährige Schülerinnen auf einer Mädchenschule ihren Lehrer erstechen wollten weil sie in einer Klassenarbeit eine Fünf geschrieben hatten, so kommen die Lehren der Pädagogik schnell zum Vorschein die da sagen, dass Kinder nur auf ihre Umwelt reagieren und so ihr Verhalten lernen. Da gleich zwei von ihnen auf einer Privatschule ihren Lehrer als den Übeltäter aus dem Weg räumen wollen, den einzigen Weg in ihre Zukunft in dieser Handlung sehen muss dies von ihrgendwo her provoziert worden sein. Eine fünf zu bekommen ist kein Weltuntergang, das haben wir - vielleicht - alle einmal gelernt. Doch wenn von den Eltern ein Leistungsdruck aufgebaut wurde, ein Alles oder Nichts Szenario in dem sie einfach bestehen mussten oder aber von ihren Eltern verlassen würden, sich gar nicht mehr trauen konnten irgend etwas von schlechteren Leistungen zu erzählen bis die Auswirkungen unvertuschbar würden, so braucht es nicht viel Vorstellungskraft für die Auswirkungen einer solchen Leistungsdruckwelt. Kinder reagieren nur auf das, was sie vorgelebt bekommen. So war es immer, so wird es immer sein. Sie sind noch keine fertigen Menschen.

Und vor allem haben sie keine Moralvorstellungen indem man ihnen diese befiehlt, indem man sie ihnen zum auswendiglernen aufträgt und erwartet, dass sie danach leben. Sie bekommen diese durch Nachahmung der elterlichen Lebensweise und Handlungen, bekommen diese durch einen langen Lernprozess aus ihrer Umwelt und dem, was sie daraus lernen. Wenn sie jedoch mit jeder Situation alleine gelassen werden, womöglich sogar belogen werden was die Erklärungen auf ihre Fragen angeht, so wird aus einem solchen jungen Menschen schnell etwas Unkontrollierbares. Und wieder ist beim Anblick dieser besagten Mutter und beim Genuss ihrer verzweifelten Aussagen über ihren stummen Sohn genau diese Erklärung immer wahrscheinlicher.

Was lernen wir also aus dieser Geschichte? Jeder von uns hatte die Chance zu lernen Eltern zu sein! Wenn er es nicht getan hat so hat er sich nur als Gehirn-besitzer, nicht aber als -benutzer disqualifiziert, denn er hat über seine Jugend nie wirklich nachgedacht, hat nie seine Erfahrungen, seine Konflikte mit seinen Eltern revue passieren lassen als er älter war und hat nie etwas daraus lernen wollen. Jedoch dann - und nur dann - sollten Eltern tatsächlich wirklich verboten werden, zum Schutz der Jugend.

Und zum Abschluss allen Übels ist natürlich der Sohn dieser Mutter selbst in der Talkshow gar nicht erst gefragt worden. War ja auch klar.