1001 Worte -

Das Phänomen Feuchtgebiete

 

 

 

Ja, ich habe es gelesen.

Das Machwerk.

Das von den Kritikern und jeglicher anderer Presse verrissene Buch von Charlotte Roche, die die Kuh auch noch mit einem selbstgelesenen Hörbuch melkt.

Aber wieso lese ich ein solches Pamphlet, von dessen Art ich höchstselbst schon gleich mehrere, viel bessere Versionen geschaffen habe?

Worum geht es überhaupt?

Zumindest letzteres ist recht schnell erzählt, denn es geht um einen Krankenhausaufenthalt eines Mädchens, einer Borderlinerin in Reinkultur, ein Scheidungskind das schlecht in der Schule ist und ausser „ficken“ eigentlich keine wirkliche Beschäftigung hat. Und davon erzählt sie dann auch hin und wieder, wenn sie nicht gerade von irgendwelchen Ausscheidungen, Körperfunktionen oder absurden Rückblicken berichtet. Zumindest jedoch hat sie das wichtigste an einer Geschichte nicht versaut: Das Ende.

Sie kommt ins Krankenhaus, weil sie sich beim rasieren die Rosette eingeschnitten hat und dabei auch gleich noch ihre Hämorrhoiden abschneiden lassen will, die sie schon zum sexuellen Brauchbarkeitstest hochstilisiert hat. Der Bericht von den Schmerzen danach darf natürlich auch nicht fehlen, und natürlich von dem dazugehörigen, ersten, nachoperativen Stuhlgang, der in farbigsten Metaphern dargelegt wird. Das mag man ekelig finden oder auch nicht, jedenfalls reicht es, um wissen zu wollen, was sie im nächsten Satz noch an Ekligkeiten erzählen wird. Das alte Spiel mit dem polarisierenden Reiz eben. Die eine Gruppe mag es und liest deshalb weiter und weil sie wissen wollen, was sie noch schreiben wird, die andere Gruppe hingegen hasst es, verabscheut es, und will wissen, welchen Mist sie noch schreiben wird. Aber beide Gruppen lesen es!

So ging es auch mir ein bisschen, auch wenn ich langweiligere, weniger eklige, intime Stellen überblättert habe. Wenn ich schon meine Zeit mit einem gehypten Buch verbringe, dann will ich diese zumindest minimieren. Doch auch ich habe es nun gelesen, und das obwohl ich noch inspirierenderes Lesematerial beispielsweise von Timothy Leary oder Harald Lesch im Schrank stehen habe. Der Reiz war dann doch gross genug.

Jedoch der Erfolg dieses Machwerks lässt sich ähnlich simpel begründen wie der Verriss der Kritiker, nämlich durch Preis und Konfrontation, Tabubruch und Peinlichkeiten.

Das ganze Ding hat gerade einmal 220 Seiten, gross geschrieben und mit relativ einfachen und wenigen Worten gefüllt, so dass es selbst mir als Dyslektiker schnell möglich war, es zu lesen - oder zumindest stellenweise zu überfliegen. Es ist also gut für maximal einen Nachmittag, bei schnelleren Lesern sicherlich gerade einmal eine Stunde. Damit fällt es vor allem nicht in die Kategorie Arbeit, die Werke wie Krieg und Frieden oder der Beweis der Fermatschen Vermutung für sich reserviert haben. Es ist ein Pausenfüller, und auch nicht mehr.

Und genau dafür passt auch der Preis, denn im Fachhandel gibt es das Buch schon für unter zehn Euro zu kaufen, die eBook-Version gar noch billiger und die Hörbuchversion fürs Auto bewegt sich auch am unteren Preisende für Hörbücher. Damit ist es aber auch verschenkbar, wenn nicht gebraucht als fertiggelesenes Buch an einen Freund, eine Freundin, einen Kollegen, dann vielleicht sogar als frisch gekauftes, neues, eingepacktes Geschenk an die gleiche Zielgruppe. Es ist ein Preissegment, in dem man gerne einmal am Grabbeltisch zugreifen wird, weil man gerade noch so viel Kleingeld dabei hat, weil es nicht viel Geld ist, weil das Preis-Leistungs-Verhältnis auf den ersten Blick gut ist und natürlich weil man schon davon gehört hat, weil Charlotte Roche ein A-B-C-D-Promi ist und immer wieder mal mit Themen auf und auch wieder abtaucht, die einem Schlingensief oder einem Ulmen würdig wären - die diese jedoch auch weit niveauvoller umsetzen würden.

Womit wir uns bei dem sicherlich nicht weniger wichtigen Punkt befinden, nämlich dem Hype. Wenn ein solches Material irgend jemand anderes geschrieben hätte, jemand mit weniger bedeutsamen, weniger bekanntem Namen, jemand mit weniger Medienverbindungen, so wäre es in der Masse der Buchreviews untergegangen, hätte keinerlei Beachtung gefunden und wäre so schnell wieder von der Buchmesse verschwunden, wie man den vernichtenden Kritikerbericht überfliegen konnte. Doch es war nun einmal Charlotte Roche.

Viva-Moderateusen sind offenbar in der heutigen Zeit eine intellektuelle Instanz, die gefragt wird, die man Dinge sagen lässt und deren Gesicht man in der ein oder anderen Talk-Show recyclen kann bis sie wieder einmal uninteressant geworden weil abgenutzt ist. Genau dies ist in dem Monat ihrer Veröffentlichung geschehen. Als einer der ersten war sicherlich Harald Schmidt am Ball, der neben der Doktorandin Lady Bitch Ray noch einen drauf setzen wollte und die gute Charlotte mal ein paar Zeilen über Muschisekret aus ihrem Buch hat vortragen lassen.

Dass diese Szene danach natürlich von anderen Sendungen wiederbenutzt wurde um ihr Programm zu füllen, allen voran natürlich die „Nachrichten“ von RTL2, deren Informationsgehalt sich eher mit sich selbst beschäftigt als mit Ereignissen von etwas mehr Bedeutung, und die es als natürlich Lauf der Dinge betrachten, wenn man eben erst gelaufene Sendungen schon als geschichtliche Ereignisse in der News breittreten muss. Die obligatorischen Talk-Runden auf den so genannten dritten Programmen, bei denen ein Haufen D-Promis im Kreis sitzen und über ihr uninteressantes Leben erzählen, sind dabei natürlich selbstverständlich.

Man glaubt es ihr aber eben auch, dass sie hier von sich selbst erzählt, dass sie von den Dingen, von denen sie das Mädchen in ihrem Buch berichten lässt, deshalb so gut bescheid weiss, weil es sie selbst war, die all dies ausprobiert, durchlebt und provoziert hat. Es ist eben ihr Hintergrund als Viva-Moderatorin, der sie in diesem Fall so glaubwürdig erscheinen lässt.

Witzigerweise bin ich erst wieder auf dieses Buch gekommen, als nachts eine Fernsehumfrage gezeigt wurde, was denn die Menschen als letztes für ein Buch gelesen hätten. Als dann ein gestandener Mittvierziger meinte, dass er eben die Feuchtgebiete hatte hinter sich bringen müssen, weil seine Freunde davon erzählt hatten, war es auch um mich geschehen. Ich empfand es in diesem Moment eben als sozial rehabilitiert.