zur Schizophrenie des Fernsehens

Es geht ein Aufschrei durch die Medien. Wieder einmal hat man eine halbnakte Frau in einer eigentlich Familiensendung singen sehen müssen. Wieder einmal überschlagen sich die Boulevardzeitungen um dieses Ereignis aufzubauschen und den konservativsten unter ihren Lesern ein neues Forum für ihren augestauten Frust bieten zu können. Und wofür das alles?

Ein paar Tage später kommen dann aber auch schon die ersten Leserbriefe und Abstimmungen durch, die sich ausdrücklich dafür aussprechen, dass dieser Auftritt eben doch nicht zu erotisch war, dass man eben doch nicht zu viel gesehen hat und es doch nicht zu anstössig gewesen wäre, was sie da vorgeführt hat. Also sind die Zuschauer offenbar doch nicht so borniert, sich alle Meinungen von den Medien doktrinieren zu lassen. Oder etwa doch?

Immer wieder hört man davon, dass Gewaltfilme oder Pornografie im Fernsehen doch verboten gehört, dass irgend ein Film, der sowieso erst ab 18 ist, aus den Kinos verbannt gehörte, dass ein Videospiel die Darstellung von Gewalts viel zu realistisch rüberbringt, dass unsere Jugend sowieso verrohen würde und daran natürlich nur alles andere schuld ist, bloss nicht das, was sich sowieso früher oder später jeder anschauen muss - die Nachrichten.

Jeden Tag kommen neue Schreckensmeldungen und jeden Tag kommen auch Bilder zu diesen Meldungen. Das ist ja das schöne am Fernsehen, man kann die Meldung nicht nur vorlesen, sondern auch gleich noch ein kleines Filmchen, einen kurzen Bericht mit authentischen Photos zeigen und so das Grauen eines Unfalls, die Gewalt eines Mordes oder den Schrecken eines Anschlages viel präziser erklären als nur durch Worte, wie es in der guten, alten Zeit der Tagesschau noch der Fall war. Aber diese Zeiten sind wohl vorbei, dass da ein einzelner Mensch vor der Kamera sitzt und fünfzehn Minuten lang einen Monolog zum Themen aus Politik und Wirtschaft hält - und das völlig ohne eigene Meinungen oder Verdrehungen, einfach nur die Fakten.

Macht man heute die Nachrichten auf einem der privaten Hauptkanäle an, so bekomm man ein multimediales Spektakel geboten mit viel Tamtan, phantastischen Sounds, klasse Charts-Musik und natürlich auch gleich der privaten Meinung des Moderatorenteams geboten. Nicht, dass es durchaus da eine oder andere mal ganz lustig ist, sich den Wetterbericht in Dolby-Surround anzuschauen und in 3d durch die Wetterkarte zu fliegen, aber politische Meinungen sollte ein Moderator einer Infotainmentsendung - wie es heute auf Neudeutsch ja heisst - wohl doch lieber raushalten. Wenigstens zeigt sich an solchen phrasen schon die Einstellung des Senders und man weiss für die Zukunft, wie man die Meldungen auf diesem Kanal einzuschätzen hat.

Pervers wird es allerdings, wenn sich diese Soundqualität auch bei Nachrichten bietet, die vielleicht nicht so ganz der pompösen präsentation gerecht werden könnten - Terroranschläge und Naturkatastrophen beispielsweise. Selbst diese werden mit special Effect aufgemotzt, bis man nur noch darauf wartet, dass endlich die nächste Katastrophe passiert und man diese in ähnlicher Weise angepriesen bekommt. Und die Kiddies duerfen immer schön zuschauen, es sind ja nur die Nachrichten, die sollen ja nur informieren, und das kann ja eigentlich nicht schlecht sein. Selbst wenn einmal ein abgetrennter Kopf bei einem Autounfall gezeigt wird, wenn die Blutverschmierte Leiche bei einem Massaker im Grossbild vorgeführt wird ist das kein Problem für die Eltern, es sind ja nur die Nachrichten, die über alles informieren und ja von daher gar nicht grausam sein können.

Natürlich ist die Darstellung in Videospielen viel gewaltsamer, grausamer und realistischer als die tägliche Nachrichtenrealität - wenn man den Kritikern genau dieser Games glauben schenkt. Dabei läuft jeden Tag schon in den Vorabendserien weit mehr Grausamkeit über die Flimmerkiste, als es in den grausamsten Trash-Streifen, in den radikalsten Egoshootern zu sehen gäbe. Doch es sind nicht die Bilder und Informationen über den Tod, die sie dank der Eltern zu sehen und hören bekommen, die dann kritisiert werden, dann diese bekommen die Eltern ja mit, es kann also nicht so schlimm sein. Vielmehr ist es die Ecke des Kinderzimmers, die sie nicht kontrollieren, nicht begreifen können, die ihnen Angst bereitet, die ihnen fremd ist weil es das in ihrer Jugend nicht gab und von daher ja nur schlecht für die Kids sein kann. Keiner denkt daran, dass sich Zeiten ändern, Veranlagungen und Geschichten, die die Menschen zu dem machen was sie einmal werden werden aber nicht.

Doch auf einmal scheint alles anders zu sein. Wurden die Kinderlein bisher immer vor allem grausamen der Welt von den überaus weisen Wachsenen geschuetzt, bekamen sie nun auch noch Nachmittags die Nachrichten und Berichte verordnet, von denen sie schon abgestumpft wurden, bekamen hautnah zu sehen, wie Menschen aus hundert Stockwerke hohen Gebäuden in die Tiefe springen - genau so mit lebensechten sounds aufgepeppten Hintergrundgeräuschen und mit überaus scharfen und nah herangezoomten Bilden wie seit eh und je. Wie soll da jemand die Perspektive für die Realität behalten, wenn ohnehin alles nach einem mehr oder weniger schlechten Film aussieht, wenn die realität dank des Fernsehens, dank lichtschneller Kommunikation über alle Medien hinweg so surreal geworden ist, dass die Grenzen zwischen Show und klaren Fakten immer mehr verschwommen sind.

Klar war das alles überaus grausam, was da mit den beiden Türmen passiert ist, aber hat den Kindern, die die Hintergruende sowieso nicht verstanden hätten, diese wenigstens versucht zu erklären? Hat jemand den vielleicht gar Wissensdurstigen überhaupt einmal mehr erzählt als das, was täglich auf allen Kanälen rauf und runter lief und immer wieder in noch schäferen Nahaufnahmen aus immer neuen Perspektiven gezeigt wurde? Hat sich überhaupt jemand die Muehe gemacht auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was die Realität denn tatsächlich ist? Was die Essenz all dieser möchtegerninformationen ist, die da alltäglich auf einen eingepruegelt wurden? Kaum.

Tja, so ist es, das Fernsehen. So sind sie, die Sendungen, die die Beeinflussbarsten unter uns von selbst ihren eigenen Eltern aufdoktriniert bekommen und ihnen sagen, was sie zu glauben und zu tun haben. Unrechtsbewusstsein wird dabei nicht gebildet sondern vielmehr Mediengeilheit, für die zu schaffen sie so geradezu ausgebildet werden. Und da wundert sich noch jemand, wenn die Leute mit Uzis auf ihre Lehrer losgehen, wenn sie von diesen und ihren Klassenkameraden ungerecht behandelt werden? So kommen sie nämlich auch ins Fernsehen, und das zu erreichen bekommen sie ja immer von ihren eigenen Eltern gesagt, wenn sie ihnen wieder einmal einen Menschen dort hochpreisen, zu dem sie selbst überhaupt keinen Bezug haben und auch nicht verstehen, warum diese Person im Fernsehen ist und sie selbst nicht, was der Unterschied zwischen diesen und ihnen selbst ist und warum es nicht wuenschenswert ist, als Massenmörder durch die Medien gezogen zu werden.

Doch wer kann es ihnen verübeln? Zeigen das nicht tagtäglich die Scharen von Talkshows, die genau diese tagtäglichen Gesichtsguenter als Stars für die Sekunde vorführen, ihnen ihre fünf Minuten Ruhm verpassen? Wenn diese schon mit ihren mehr als alltäglichen Problemen dort hinkommen, wo es von ihren Eltern, ihren Vorbildern gepriesen wird, warum sollten sie nicht mit irgend einer extremeren Aktion ebenfalls ins Fernsehen, vielleicht sogar in die heiligen Nachrichten gelangen?

Das Unrechtsbewusstsein wird nicht gebildet, das bleibt irgendwo zwischen Sportshow und Tagesthemen auf der Strecke.