Die nächtliche Schlacht

 

 

„Na gut.“ spricht sie, und durchbricht damit das lange, unangenehme Schweigen, das sich eingestellt hatte, als ihre Eltern gegangen waren und uns zu viert in ihrem Haus alleine gelassen hatten.

Bereits als ich zu ihr gefunden hatte, empfand ich es als ausgesprochen merkwürdig, dass da ein anderer Teil meiner Vergangenheit versammelt war. Zwei meiner ältesten Freunde, einer davon sicherlich einer der besten Freunde, die ich mir wünschen konnte - Louis und Thomas. Sie schauten freundlich drein, als ich das Haus betrat, nicht im geringsten hinterhältig oder gar arglistig sondern tatsächlich als würden sie sich freuen mich zu sehen. Und das an diesem Ort hier. Als wenn die Situation nicht schon abstrus genug gewesen wäre.

Sie wollte mit mir reden sagte sie am Telefon. Warum sie dann nicht gleich weiterreden konnte, wollte ich eigentlich gar nicht wissen, da ich mich insgeheim darauf freute, sie in welcher Atmosphäre auch immer, wieder sehen zu können. Und tatsächlich war es so, wie ich es erwartet hatte, mein Herzklopfen vor ihrer Tür hätte die Türklingel eigentlich überflüssig gemacht und die Trockenheit in meiner Kehle in dem Moment als sich die Pforte öffnete war mir ebenfalls hinreichend bekannt.

Vom Abendessen ihrer Eltern war wohl noch etwas übrig geblieben, worüber man sich nun kollektiv hermachte - meine beiden alten Bekannten ebenfalls. Ich war derart fokussiert auf ihre Person, dass ich mich gar nicht fragte, warum die beiden Jungs ebenfalls hier waren, und es interessierte mich auch nicht, denn ich wollte ja nur Sie.

So saßen wir folglich am Hochtisch in ihrer Küche und speisten langsam und bedächtig - ich zumindest. Die Stille jedoch, die sich währenddessen breitgemacht hatte, ließ in mir Gedanken kreisen. Ich begann in der Tat, darüber nachzudenken, warum ich denn eigentlich hier war, was ich mir denn vorstellte, was ich denn von diesem Besuch erwartete. Zu einem Ergebnis kam ich jedoch nicht schnell genug - vielleicht war es auch besser so.

„Du darfst mich ficken!“ führte sie folgerichtig ihren Satz fort. Was hätte ich all die Jahre dafür gegeben, diese Gelegenheit zu haben, ihr endlich wieder so nahe zu sein, wie man einem Menschen nur nahe sein kann. Jetzt sollte es also wirklich so kommen. Die Tatsache, dass ich diese Aufforderung als solche einfach hinnahm, würde sicherlich viel über meinen bisherigen Lebenswandel, meine bisherigen Beziehungen, meine Partnerinnen, Gespielinnen aussagen - wenn man mich denn analysieren würde.

Doch sie setzt nach. „Und wenn du es mir nicht ordentlich genug machst und mich richtig befriedigst, dann wirst du mich nie wieder sehen, wirst dich von mir fernhalten“, während sie ihre Schritte in Richtung ihres Schlafzimmers setzt, begleitet jedoch von ihrem offensichtlichen Gefolge, nämlich den beiden anderen Jungs.

Nicht einmal jetzt mache ich mir Gedanken über das Warum, bin einzig gedanklich verwurzelt in der Vorstellung dessen, was ich gleich mit ihr machen würde. Ich male mir schon aus, was ich mit ihr machen würde, wie ich sie nehmen würde, denn das würde ich mit all meiner Kraft. Sehr wohl weiß ich noch, wie wir damals, als wir noch zusammen waren, miteinander geschlafen haben. Damals hat es uns immer Spaß gemacht, auch wenn es vielleicht etwas einseitig war. Heute jedoch würde ich alles auf eine Karte setzen müssen - und noch viel mehr. Denn ich habe nun einmal kaum eine Ahnung, was sie in der Zwischenzeit für extatische Erfahrungen gemacht hat, die es für mich nun gilt, zu übertreffen. In der Annahme, dass ich das aus rein biologischen Gründen vielleicht nicht können werde, werde ich aber zumindest vögeln als gäbe es kein Morgen.

Während mir das Wasser im Mund zusammenläuft, male ich mir aus, wie ich ihren Kopf an den Haaren gepackt nach hinten reiße, meine Krallen in ihren Rücken schlage, während ich sie von hinten nehme, bis ich ihre Arme zu packen kriege, diese ebenfalls hinter ihrem Rücken fixiere, sie so vollkommen wehrlos mache. Und dann würde ich die andere Öffnung ihres Unterkörpers mit meinem Fleischdolch bearbeiten, wie ich es in unserer Beziehung nie getan hatte - nie gedurft hatte. Es würde mir egal sein, ob sie dabei schreit, um Gnade winselt, Verbote oder Flüche ausstößt oder gar um Hilfe schreit, denn Sie hatte ja gerade diese Regel gemacht, dass ich es dürfte. Ich würde hart und erbarmungslos über sie herfallen als wäre es der letzte Tag, als wäre es der letzte Sex, den ich jemals haben würde und sicherlich würde ich nach meinem ersten Orgasmus nicht aufhören in ihr herumzustochern, sondern würde das Resultat dessen als willkommenes Gleitmittel für ihre Kehle nutzen, würde meine Zunge in jede verfügbare Körperöffnung strecken und meine Zähne in ihr Fleisch schlagen, bis sie blutet und nach mehr schreit.

Plötzlich höre ich es flüstern. „Du solltest auf jeden Fall ....“ Es kommt aus dem Mund von Thomas und ich werde schlagartig bleich. Jeder schöne Gedanke ist wie weggeblasen. Der Schluss lag nah: es ist doch nur eine Falle. Genug zu verlieren habe ich ja, bin verheiratet, habe ein Gewerbe laufen und bin überall erfolgreich. Ein Skandal wäre eine Katastrophe, ein mögliches Beweisvideo am Ende mein Ende. So viel Narrenfreiheit genieße ich dann doch wieder nicht.

Auf den Hacken drehe Ich mich herum und gehe in Richtung der Haustür. Sie bleibt stehen, schaut mir kurz nach. Louis springt mir hinterher, stellt sich mir in den Weg, knackt wahrhaft bedrohlich mit seinen Halswirbeln, baut sich vor mir auf, versperrt mir den Weg. Ich weiß, dass er mal Karate gemacht hat, etwas Kickboxen kann. Vielleicht hat er Sie sogar dabei kennengelernt. Sollte er mich wirklich angreifen, sollte Sie ihn so weit unter ihrer Kontrolle haben, dass er die Scheiße aus mir herausprügeln würde, so habe ich wohl kaum eine Chance.

Eventuell habe ich im unmittelbaren Nahclinch eine Chance, nicht so viele Schläge einzustecken, spekuliere ich noch, als mich schon der erste Kick erwischt und ich gegen die Wand schlage. Mister Sport-ist-Mord gegen den Supersportler vom Dienst, sehr ausgeglichen. Was hatte sie bloß mit den beiden gemacht?

Der nächste Tritt erwischt mich nicht ganz so perfekt, gibt mir bereits eine erste Chance zu so etwas wie Gegenwehr. Ich packe sein Bein, halte mich daran fest und schiebe mich auf ihn zu. Sein Versuch, mich wieder von sich wegzudrücken, mich wegzuschlagen versuche ich wiederum zu kontern, kralle mich an seinem Hemd fest.

„Was willst du von ihr?“

Meine Frage bringt ihn wohl völlig aus dem Konzept, denn er hält inne, drückt mich nicht mehr von sich.

„Was willst du von ihr?“ wiederhole ich meine Frage. „Wir kennen uns seit dreißig Jahren, ihn kenne ich seit mindestens zwanzig, du bist einer meiner besten und längsten Freunde. Doch seit fünfzehn Jahren liebe ich Sie. Seit fünfzehn Jahren. So steh ich hier und kann nicht anders. Ich liebe Sie. Ich liebe Sie noch immer und es tut mehr weh, als du mir je mit deinen Schlägen Schmerzen zufügen könntest. Sogar mehr, als der Verrat meiner Freunde schmerzt. Also sag mir: Was willst du von ihr?“

Er steht noch immer da und sagt kein Wort. Langsam erschlaffen seine kämpferisch angespannten Muskeln und er beginnt, wieder wie ein normaler Mensch vor mir zu stehen. Doch noch immer halte ich mich festgekrallt an seinem Hemd an ihm fest. Sein Blick bekommt nun etwas Melancholisches, etwas Trauriges, etwas Weiches.

Vorsichtig beugt er sein Haupt, hält meinen Arm mit beiden Händen fest und küsst mich auf den Unterarm, schaut mich wieder mit seinen großen Augen an.

Ich verstehe. Ich lasse von ihm ab und nicke ihm mit einem tiefen Atmen zu.

Der Weg in beide Richtungen ist nun frei, er ist gegangen.

„Und du? Warum du? Warum verrätst du mich? Was habe ich dir getan?“

Er kommt die Stufen herunter, die er bereits mit ihr hinaufgestiegen war. Bedeutungsschwanger stellt er sich vor mir auf. Jetzt ist sein Blick nicht mehr so freundlich wie anfangs. Jetzt ist sein Blick voller Hass, voller aufgestauter Wut.

„Weil dir immer alles gelungen ist! Immer hattest du das Glück, immer hattest du nur den Spaß, hast nie die Arbeit mit irgendetwas gehabt, hast dich immer ins gemachte Nest setzen können. Womit solltest du das verdient haben? Wieso? Ich habe mir alles erkämpft, erarbeitet, du hast immer alles genommen, wie es kam, hast gekriegt, was du wolltest, immer rein zufällig, weil es wie von selbst auf dich zugekommen ist, ohne dass du irgendetwas dafür tun musstest. Zahlen durften immer nur die anderen. Ja, dafür hasse ich dich. Dafür will ich Rache, viel Rache. - Warum? Warum du? Und sogar jetzt noch!“

Eine große Trauer überkommt mich. So hatte ich das nie gesehen. Natürlich habe ich immer alles bekommen, was ich wollte, weil ich immer alles genommen habe was sich angeboten habe und dies als meinen Wunsch definiert habe. Der Weg des geringsten Widerstandes war damals genau der meine. Und ein bisschen Glück durfte ich dann doch haben. Jetzt hält mit ausgerechnet der Mensch, den ich als den Bedingungslosesten, Engsten, besten meiner Freunde anerkannt hatte, mir diese Anerkennung vor. Alles hätte er von mir haben können, jeden Wunsch hätte ich ihm erfüllt, ihm jeglichen Gefallen getan, so wie er für mich da war, doch er hatte nie etwas gesagt.

Die tiefe Trauer manifestiert sich in meinem Gesicht, meine Mundwinkel nähern sich dem Fußboden und ich kämpfe einmal mehr mit den Tränen.

„Was du nicht mitbekommen hast, ist das Jang zu meinem Jing. Der Ausgleich meines Karmas. Vor der heimischen Haustür ging es mir gut, war ich glücklich, war ich unter Freunden, hatte ich Spaß. Daheim aber, da war der Horror beheimatet, da war das Grauen, der Terror. Du hattest die Möglichkeit, dir Dinge zu erarbeiten. Ich musste jeden Tag, jede Nacht, jede wache Minute darum bangen, nicht von meinem Vater terrorisiert zu werden, wenn er wie praktisch immer besoffen war. Und wen er es mal nicht war, dann schütteten meine Eltern gemeinsam ihre Erziehungsversuche über mich aus - in gemeinsamer Zwietracht gewissermaßen. Pest und Cholera, ich hatte beides. Wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, vieles so leicht zu erreichen, dann hätte ich niemals etwas erreicht, weil ich gar keine Möglichkeit für etwas Eigenes bekommen hätte. Du hast Eltern, eine Familie, zu der du gehören kannst. Etwas Derartiges hatte ich nie. Ich habe dich immer beneidet, war immer glücklich, dich als meinen Freund bezeichnen zu können. Darauf war ich unendlich stolz. Dafür war ich unendlich dankbar als ich endlich anfangen konnte zu denken, den Kopf freibekam von meinem Heim. Ich wollte dir schon immer dafür danken, aber mir fehlen für so etwas einfach die Worte.

Wenn wir jemals Freunde waren - ich will dich nicht verlieren.“

Stille Sekunden vergehen. Er atmet tief durch und fast ist es wie ein Seufzer, den er in den leeren Raum haucht. Langsam und irgendwie bedächtig kommt er die letzten Schritte auf mich zu, steht vor mir und legt seine Hand auf meine Schulter. Nach einem tiefen Blick vierer Augen, die auf beiden Seiten wohl nicht trauriger, aber auch kaum verbundener sein könnten, nickt er mir zu - und geht. Wir haben uns verstanden.

Nun kommt Sie auf mich zu. Wir sind alleine, die anderen beiden sind aus dem Haus und somit stünde nichts mehr unserem Schäferstündchen im Wege.

Da steht sie nun also vor mir, auf ein durchgestrecktes Bein gestützt, die Hüfte herausgeschoben und mit angewinkelten Armen winkend als wolle sie sagen „komm schon, Kleiner. Machs mir!“

Ich küsse sie auf die Stirn, trete einen Schritt zurück und schlage ihr mit dem flachen Handrücken ins Gesicht. Die Wucht meines Schlags wirft sie zurück, lässt sie auf den Boden fallen. Da liegt sie nun und schaut mit verwirrtem Blick in meine traurigen Augen.

Langsam nähere ich mich ihr, beuge mich zu ihr herunter, nehme sie in den Arm, hebe Sie mit Leichtigkeit empor und trage sie die letzten Stufen hinauf zu ihrem Schlafzimmer. Wortlos lege ich sie aufs Bett.

Völlig wehrlos lässt sie es mit sich geschehen, lässt zu, dass ich sie entkleide, dass ich sie bis auf die nackte Haut von all ihren stoffnen Hindernissen, die mir den Zugriff auf das verwehren würden, worum sie mich eben noch gebeten hatte.

Dass sie dabei den Schlag wenige Sekunden zuvor derart weggesteckt hat, lässt für mich eigentlich nur erscheinen, dass sie ihn als verdient ansah, ihn angenommen hat. Einmal mehr muss ich mich als Enthüller fühlen, und das nicht nur im wörtlichen Sinne.

Sie trägt unter ihrem Wickelröckchen noch nicht einmal Unterwäsche. Wahrscheinlich hatte sie vieles von dem, was hier heute Abend geschehen ist, bis aufs Letzte geplant. Aber damit, dass ich all ihre Hindernisse, die sie mir einräumen wollte, besser kannte, als sie es jemals können würde, länger kannte, als sie wissen wollte, hatte sie wohl nicht gerechnet. Wieder einmal hatte ich mich mehr als Beherrscher meiner Realität erwiesen als Sie.

Sie liegt nackt vor mir, hat eine Hand auf ihrem Bauch, die anderen einfach nur neben ihr Gesicht gelegt, schämt sich nicht im geringsten ihrer Nacktheit, der vollständigen Entblößung in jeglicher Hinsicht. Ich lege meinen Kopf auf ihren Bauch, möchte mein Gesicht in ihr vergraben, feuchte ihre Haut mit meinen Tränen an. Wieder kann ich mich meiner Gefühle nicht erwehren.

Dennoch stehe ich auf, drehe mich um und gehe.

„Wo willst du denn hin?“

„Weg ...“ sage ich, während ich die Tür hinter mir ins Schloss ziehe. „Einfach nur weg.“